zurück     |       |   Seite drucken    

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 44

Henning Hufnagel

Von Hippozentauren, Silenen und Pedanten.
Lukian, Giordano Bruno und dessen Cena de le ceneri

 

Ein wunderliches Werk, diese Cena de le ceneri, dieses “Aschermittwochsmahl”. Giordano Bruno (1548-1600), ein entlaufener Dominikanermönch und wandernder Philosoph, Autor einer derben Komödie und bewunderter Gedächtniskünstler, lässt einen so betitelten Dialog, sein zweites Werk in italienischer Sprache, 1584 in London drucken. Hier, in der englischen Hauptstadt, glaubt er, ein Forum für seine Philosophie zu finden. In für seine Zeit einzigartiger Radikalität propagiert Bruno die pantheistische Einheit Gottes mit der Welt, die Unendlichkeit des Universums, die Existenz unzähliger belebter Welten und die Ewigkeit der Materie. Dass er sich damit nicht nur gegen die damals herrschende aristotelische Philosophie und Theologie, sondern gegen das Christentum überhaupt stellte, daraus scheint er kaum je einen Hehl gemacht zu haben. Entsprechend prekär ist seine Lage zeitlebens auch geblieben. Und so ist London nur die vorläufig letzte Station in einem unsteten Wanderleben, das Bruno von Neapel über Rom ins kalvinistische Genf und von dort über das vom konfessionellen Bürgerkrieg geschüttelte Toulouse an den Hof Heinrichs III. in Paris geführt und mit den jeweiligen religiösen Autoritäten regelmäßig in Konflikt gebracht hat. Doch Bruno hofft, im England Elisabeths I., das in kultureller Hochblüte steht, endlich Fuß zu fassen. Dazu schreibt er seinen Dialog; er versucht, sich mit seinem Text für eine Hausgelehrtenstellung im Umkreis des englischen  Hofes zu empfehlen.

In den fünf Teilen der Cena ist Brunos eigene Person denn auch ständig präsent – in der Figur des “Nolaners”, des Mannes aus Nola, wie Bruno sich mit Bezug auf seinen süditalienischen Geburtsort in der Nähe von Neapel häufig nannte. Schon durch einen solchen Namen reihte er sich allerdings unter die unbestrittenen Autoritäten seiner Zeit ein, den “Arpinaten” Cicero, den “Aquinaten” Thomas von Aquin oder den “Stagyriten” Aristoteles. Er bekräftigte also bereits mit seinem Namen seinen Anspruch als Philosoph. Ziel der Cena ist es, zu zeigen, dass der Nolaner diesem Anspruch auch jenseits des Ärmelkanals genügt: dass die einheimischen Gelehrten ihm bei weitem nicht das Wasser reichen können und er deshalb vom englischen Adel unbedingt protegiert werden sollte. Das tut der Dialog mit auf den ersten Blick durchaus seltsamen Mitteln.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 45

Zuerst einmal besteht er nämlich nicht einfach aus der Diskussion einer philosophischen oder kosmologischen Frage, in der der Nolaner Sieger bliebe. Vielmehr wird in einem anderen Gespräch von einer solchen Diskussion berichtet und diese kommentiert. Die beiden Diskussionen sind ineinander verwoben; die Cena  hat zwei Gesprächsebenen. Auf der inneren Ebene liefern sich der Nolaner und zwei Aristoteliker aus Oxford einen Disput über die Thesen des Kopernikus zum Platz der Sonne in unserem Planetensystem. Der Nolaner hängt Kopernikus an, den er philosophisch zu unterfüttern gedenkt, die Aristoteliker verteidigen die ptolemäische Tradition. Ihr Gespräch findet an einem Aschermittwoch statt, und von daher hat der Dialog seinen Titel. Diesen Disput diskutieren und kommentieren auf der äußeren Dialogebene nun vier andere Personen. Das ist zunächst nichts Besonderes. Auch Platon hat seine Dialoge bisweilen ineinander verschachtelt, berühmtestes Beispiel ist sein Symposion. Doch einzigartig dürfte Brunos Cena durch die komplexe Interaktion der beiden Ebenen sein. Das Geschehen der inneren Ebene wird nämlich unausgesetzt von Kommentaren auf der äußeren Ebene unterbrochen und in andere Richtungen gelenkt, wie auch das Gespräch auf der inneren Ebene stets neue Interventionen auf der äußeren Ebene provoziert. So kann ein Ereignis auch im Abstand von zwanzig Seiten noch einmal – und durchaus widersprüchlich – berichtet werden und jeweils andere Gesprächsentwicklungen hervorrufen.

Ebenso seltsam mutet es an, dass nicht nur erörtert wird, welche Argumente der Nolaner und die Aristoteliker für ihre Positionen jeweils ins Feld führen. Denn viel ausführlicher noch wird davon berichtet, wie ihr Disput zustande kommt, wann und wo er stattfindet und unter welchen genauen Umständen. Zum Beispiel erzählt der zweite Teil allein davon, wie sich der Nolaner durch das abendliche London zum Schauplatz der Diskussion, den Gemächern eines der Höflinge Königin Elisabeths begibt, und welche unvorhergesehenen Hindernisse ihm auf seinem Weg begegnen – verschlammte Straßen, unwillige Fährleute und ein aufgebrachter Mob, der wild um sich schlägt. In diesem Register geht es weiter: Als der Nolaner im dritten und vierten Teil des Dialogs endlich mit den Oxforder Aristotelikern disputieren kann, erweisen sie sich als intellektuell unfähig, grob und dumm unter dem äußeren Anschein der Gelehrsamkeit. Sie geben eine lächerliche Figur ab; Bruno weist sie explizit als ‘Pedanten’, als Charaktermasken der italienischen Komödie aus. Für einen philosophischen Dialog ist das durchaus ungewöhnlich. Normalerweise wandeln dort gravitätische Gestalten in loci amoeni auf und ab und pflegen ebenso fein umhegte Gedankengänge. Bei Bruno hingegen ist der Dialog mit komischen, ja burlesken Elementen durchschossen, auf der äußeren Dialogebene insbesondere in Gestalt von zwei Sprecherfiguren. Während der wissbegierige Engländer Smith und Teofilo, ein Schüler und Vertrauter des Nolaners, noch zum klassischen Personal eines Dialogs gehören, gibt Bruno ihnen zwei weitere Figuren zur Seite, die nicht verleugnen, dass sie der Komödie entstammen: noch einen Pedanten, Prudenzio, und Frulla, einen vorwitzigen Charakter, der Prudenzio bei jeder Gelegenheit mit derben Vorstößen lächerlich zu machen versucht. In ihm ist unschwer ein Verwandter der Dienerfiguren der Komödie zu erkennen.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 46

Diese Umformungen des traditionellen Dialogs erklären sich jedoch alle vor dem Hintergrund von Brunos primärem Argumentationsziel, den Nolaner nämlich als philosophische Autorität in England zu inthronisieren. Dazu verwendet Bruno nun nicht das dialektische Florett, sondern die gröbere Waffe von Spott und Satire. Und um sie in die Hand zu bekommen, vermischt er Dialog und Komödie. Eine solche Mischung der Gattungen hat allerdings nicht erst Bruno erfunden. Sie hat durchaus ihre eigene Traditionslinie und findet ihren Ursprung in keinem geringeren als Lukian von Samosata. Wie die Vermischung der Gattungen Dialog und Komödie seit Lukian poetologisch reflektiert wurde, möchte ich in einem ersten Teil meines Aufsatzes nachzeichnen. Dann werde ich aufzeigen, wie Bruno in seiner Cena im Einzelnen auf Lukian zurückgreift. In einem dritten Teil werde ich beleuchten, wie Bruno mit seinen lukianesken Vertextungsformen auf Erasmus rekurriert, der Lukian ins Lateinische übersetzte und so in ganz Europa bekannt machte. Und abschließend werde ich betrachten, wie Bruno in seinem Dialog das prominenteste Element handhabt, das er der Komödie entlehnt: die Figur des Pedanten.

 

1. Lukian und die Vermischung von Dialog und Komödie

In der maßgeblichen antiken Poetik, der Poetik des Aristoteles, kommt die Gattung des Dialogs nicht vor – oder vielmehr, sie wird nur einmal und im Vorübergehen gestreift. Bei dieser Gelegenheit nennt Aristoteles die Sokratischen Dialoge in einem Atemzug mit den Mimen des Sophron und Xenarchos, volkstümlich-komischen Theatertexten in Prosa.(1) In der Nachfolge Aristoteles’ werden Dialoge denn auch häufig mit Theatertexten in Verbindung gebracht, da sie sich beide über eine Wechselrede konstituieren. So führt Tasso in seinem Discorso dell’arte del Dialogo (1586) etwa den spätantiken Autor Aelius Aristeides an, der die platonischen Dialoge in Komödien und Tragödien aufgeteilt habe. Tragödie und Komödie erscheinen so für den Dialog als ‘Repertoires’ an Themen, Situationen und Figuren sowie den ihnen zugeordneten elokutiven Modi. Das Repertoire, aus dem hauptsächlich und prominent geschöpft wird, ist das der Komödie, und dies schon früh in der Gattungsgeschichte. Als solch ein Repertoire verwendet die Komödie auch der Autor, der die Urheberschaft einer Vermischung von Dialog und Komödie explizit für sich reklamiert und sich so als ihr ‘Kronzeuge’ empfiehlt: Lukian.

In seinem Prolalion An jemand, der ihn einen Prometheus im Schriftstellen genannt hatte, wie es in der Übersetzung Christoph Martin Wielands heißt, nimmt Lukian für seine Kompositwerke, die er ironisch mit einem Zentaur vergleicht, radikale Neuheit in Anspruch: “Wenigstens wüsste ich nicht, dass schon jemand vor mir solche Wundertiere zutage gefördert hätte”.(2) Doch sei die Vereinigung von Komödie und philosophischem Dialog ein ‘verwegenes Unternehmen’ gewesen, denn vielfach stünden die Gattungen in Kontrast zueinander.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 47

So lässt sich Lukians metaphernreicher Rede entnehmen, dass Dialog und Komödie vor allem ein je anderer Ton auszeichnet – satirisch und ernst –, und dass mit diesem Ton je andere Themen einhergehen – menschliches Verhalten und theoretische Fragen. Dass Lukian mit der Mischung der Gattungen in erster Linie auf die Parodie des philosophischen Dialogs zielt, wird deutlich, wenn er sich folgendermaßen mit Prometheus vergleicht: “Man werde mich vielleicht gar beschuldigen, meine Zuhörer, wie [Prometheus] den Jupiter, betrogen und ihnen Knochen mit Fett überzogen, nämlich komischen Spaß in philosophischen Ernst eingewickelt, vorgesetzt zu haben.”(3)

Als paradigmatische Realisierungen einer solchen parodistischen Struktur lassen sich unter den Werken Lukians die Dialoge Das Gastmahl oder Die neuen Lapithen – bereits im Titel eine Parodie des platonischen Symposiums(4) – oder die Philosophenversteigerung anführen, in der unter anderem Pythagoras, Diogenes und Sokrates ihre Philosophien auf dem Markt buchstäblich zum Kauf anbieten.

Auf der parodistischen Verschiebung des Themenspektrums des Dialogs wird auch in Lukians Dialog Der doppelt Angeklagte insistiert. Dort wird ‘ein gewisser Syrer’, die persona des in Samosata in Ostsyrien geborenen Autors Lukian, von der Personifikation des Dialogs angeklagt, ihn misshandelt, ja durch die Vermischung mit der Komödie “ein seltsames Mischmasch” aus ihm gemacht zu haben – einen “Hippozentauren”, wie der Dialog mit demselben Bild wie im Prometheus sagt.(5) Die mit ihm vorgegangene Veränderung schildert er wie folgt:

Ehe ich mit ihm bekannt wurde, stellte ich immer eine sehr ernsthafte und feierliche Person vor; ich gab mich mit tiefsinnigen Untersuchungen über die Götter, die Natur und das Universum ab [...] und war im Begriff, noch ‘über den Himmel’ hinaufzusteigen, als dieser Mensch mich zu packen kriegte und herunterzog, mir die Flügel zerbrach und mich in einen Zustand versetzte, wo ich mit allen andern gemeinen Leuten in einer Linie stehe.(6)

Lukian soll also die ‘hohen’ Themen des Dialogs durch ‘niedrige’ ersetzt haben – niedrige, wie sie allenfalls die Komödie erlaubt. Schlagend belegen das etwa Lukians Hetärengespräche, und zwar vom Titel an. Nicht ohne die gemeinhin hohen philosophischen Themen des Dialogs mit einem burlesken Vergleich als lächerlich gekennzeichnet zu haben,(7) rechtfertigt sich der angeklagte Lukian des Dialogs schließlich damit, die Unterhaltsamkeit des Dialogs gesteigert bzw. ihn überhaupt erst unterhaltsam gemacht zu haben:

[...] wie ich mich mit [dem Dialog] einließ, fanden die meisten, daß er ein trauriges Personage sei und von dem ewigen Fragen sich eine gewisse Trockenheit zugezogen habe, die ihn [...] zu keinem sehr angenehmen und unterhaltenden Gesellschafter für das größere Publikum machten. [...] Was ihn aber dem Publico vorzüglich empfahl, war der Einfall, den ich hatte, ihm die Komödie beizugesellen.(8)

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 48

Und im Prometheus hatte Lukian unterstrichen, dass seine Ansprüche nicht weiter gingen, als das Publikum mit Vorlesungen zum Zeitvertreib zu unterhalten.

Auch zu Brunos Zeit wird ähnlich argumentiert, und doch scheint Komik in der Gattung des Dialogs für seine Zeitgenossen hochproblematisch zu sein. Sperone Speroni nähert in seiner Apologia dei dialogi (1574) Dialog und Komödie zunächst einander an – wie Lukian über die Unterhaltsamkeit. So definiert er, dass jeder Dialog etwas von einer Komödie habe: “ogni dialogo sente non poco della commedia”.(9) Denn hier wie dort bereite ein glückliches Ende, ein lieto fine, Vergnügen.

Speroni zielt indessen auf etwas Komplexeres. Der Ausweis des Dialogs als  eine Art komödienartiges Argumentationsspiel dient ihm nämlich dazu, dem Dialog nicht nur ‘niedrige’ Themen zu erschließen, sondern ebenso sehr, um die Behauptung aufzustellen, dass der Autor gegenüber den im Dialog vorgebrachten Meinungen nicht Stellung beziehe, seine Meinung mithin offenbleibe. Wie in der Komödie lasse der Autor im Dialog nämlich Personen auftreten und Meinungen äußern, über die der Autor aber nur selten ein abschließendes Urteil  abgebe. Vielmehr gewähre er seinen Figuren eine gewisse Unabhängigkeit und bleibe “sempre intra due”.(10) Was in einem Dialog behauptet werde, sei also nur eingeschränkt gültig. Die Literaturtheorie kennt dies mittlerweile unter dem Begriff der Rollenprosa: Aussagen einer Figur lassen sich nicht mit Aussagen des Autors gleichsetzen.

Speronis Verhältnis zur Mischung der Gattungen ist allerdings zwiespältig: Thematisch-sprachliche Lizenzen, die die Komödienelemente mit sich bringen, drohen nämlich mit dem decorum des Autors zu kollidieren; er räumt ein: “poco onore è al filosofo il parer Plauto o Terenzio”.(11) Und so nimmt es nicht wunder, wenn sich Speronis Text paradoxalisiert – wenn Speroni einerseits Lizenzen verteidigt und sie andererseits bedauert, er sich einerseits auf Lukian beruft und ihn andererseits wieder verdammt, gerade aufgrund des zuvor noch gerechtfertigten satirischen und parodistischen Charakters seiner Dialoge. Begründet wird diese Verurteilung mit der Gefährlichkeit jeder Transgression der guten Sitten, auch der lizenzierten; wer das decorum spaßeshalber verletzt, verletzt es bald auch ernsthaft.

Gerade wegen ihres angeblich unsittlichen Charakters verurteilt Carlo Sigonio in seinem Traktat De dialogo (1562) Lukians Dialoge, und er verurteilt freilich die in ihnen neu eingeführten komödienkonformen Dialogsprecher, -themen und Ausdrucksmodi, die diesen Charakter erst hervorbrächten. Was Lukian als Innovation positiv bewertet, gilt Sigonio als Depravation der platonisch-xenophontischen Tradition. Lukian habe diese Dialogtradition verunstaltet und korrumpiert, “depravavit atque corrupit”, indem er den Dialog dazu missbraucht habe, “de rebus ridiculis, de amoribus ac fallaciis meretriciis” zu sprechen. Und er habe äußerst schändliche und unsittliche Reden in ihn eingeführt: “[...] flagitiosissimum ac turpissimum quenque sermonem in dialogum introduxerit”.(12)

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 49

Lukians Selbstrechtfertigung über die Unterhaltsamkeit, die Sigonio als Erregen von Gelächter paraphrasiert, wird scharf zurückgewiesen – und entsprechend warnt Sigonio Dialogautoren davor, mit ihren Werken allzu häufig Gelächter erregen zu wollen; vielmehr solle es ‘so sparsam wie Salz’, “tamen parce tanquam sale”,(13) verwendet werden. Letztendlich schließt Sigonio Lukian sogar aus der Liste der nachahmenswerten Autoren aus – in seiner Verteidigung des decorum ist dieser Ausschluss Lukians durch Sigonio also ein dezidierter Versuch, dem Dialog die Komödie auszutreiben.

 

2. Brunos ‘ernste’ Refunktionalisierung Lukians

Bruno hingegen rückt seinen Dialog ganz unbefangen in die Nähe der Komödie, indem er in der Proömialepistel der Cena auf diejenigen anspielt, “che n’han donato occasione di far il dialogo, e forse una satira e commedia(14) – die Personen, die Anlass gegeben hätten, einen Dialog und vielleicht sogar eine Satire und Komödie zu schreiben. Weiter heißt es, die Cena sei ein buntscheckiges, aus vielen sehr unterschiedlichen Themen zusammengesetztes Werk:

Se vi occoreno tanti e diversi propositi attaccati insieme, che non par che qua sia una scienza, ma dove sa di dialogo, dove di comedia, dove di tragedia, dove di poesia, dove d’oratoria, dove lauda, dove vitupera, dove dimostra et insegna, dove ha or del fisico, or del matematico, or del morale, or del logico; in conclusione non è sorte di scienza che non v’abbia di suoi stracci. (14)

Bruno rückt seinen Dialog in die Nähe der Komödie, aber in seinem gewohnten Impetus geht er darüber sogleich hinaus und unterstreicht die Berührungspunkte der Cena bzw. von Teilen davon mit einer Reihe weiterer Gattungen, so dass er der Cena schließlich einen enzyklopädischen Charakter zuspricht, enzyklopädisch sowohl was die literarische Form angeht, als auch was den Inhalt betrifft: Schließlich seien alle Wissenschaften im Dialog zumindest in Bruchstücken vertreten.
Eine solche programmatische Hybridisierung der Dialogform dürfte nicht ohne Bezug auf Lukian auskommen – und tatsächlich streift Bruno den ‘gewissen Syrer’ in der Cena auch mehrmals. So beschwört Prudenzio in seinem Epilog, der die Cena beschließt, den Nolaner, sich bei der Verkündigung seiner Philosophie davor zu hüten, ein satirischer Momus unter den Göttern oder ein misanthropischer Timon unter den Menschen zu werden – womit er zwei der bekanntesten Gestalten Lukians evoziert, die in der Renaissance vielfach, etwa auch von Giovanni Battista Alberti, dem Baumeister und Schriftsteller, wiederaufgenommen wurden.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 50

Explizit genannt wird Lukian in der Cena jedoch nur einmal und zwar von einem der beiden Oxforder Aristoteliker. Er sagt, ihm kämen die Reden des Nolaner vor wie “tolto dalle Vere narrazioni di Luciano” (80) und damit nur als die Parodie ‘wahrer’ philosophischer Erörterungen.(15) Das weist der Nolaner freilich zurück: Wenn Lukian gewisse Behauptungen aus parodistischen Gründen vertreten habe, habe er geirrt, sagt er: “lui non ebbe ragione” (80). Verschiedentlich ist diese Stelle als generelle Ablehnung Lukians durch Bruno interpretiert worden. Aber tatsächlich lehnt der Nolaner ja nur die Lesart ab, die ihn mit einem bloß parodistisch verstandenen Lukian parallelisiert; einer ‘ernsten’ Verwendung lukianesker Modi ist damit noch keineswegs eine Absage erteilt.

Eine solche ernste Refunktionalisierung klingt nämlich in Frullas Rechtfertigung der ‘Erhöhung niederer Dinge’ im zweiten Teil des Dialoges an. Frulla begegnet damit Prudenzio, der kritisiert hatte, Teofilo habe sich, als er von der Reise des Nolaners durch die verschlammten Straßen Londons berichtete, in der Stilhöhe vergriffen und so das aptum, die Angemessenheit von Redeform und Redegegenstand verletzt. Dem setzt Frulla entgegen: “È lecito, et è in potestà di principi, de essaltar le cose basse” (50), und ruft damit die Tradition des paradoxen Enkomiums auf, die spätestens seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts als spezifisch lukianesk ausgewiesen ist und in Erasmus’ Lob der Torheit ihr Paradigma findet.(16)

Ihren Ursprung hat diese Tradition der paradoxen Lobrede allerdings schon in der griechischen Sophistik. Berauscht von den Möglichkeiten der Rhetorik, wandten die Sophisten die Regeln des Enkomiums spielerisch auf niedrige oder tadelnswerte Gegenstände an – ein parodistisches Verfahren, das sich ähnlich auch in der Dichtung findet, seit dem Homer zugeschriebenen Gedicht Margites, woran man insbesondere die hellenistisch beeinflussten römischen Neoteriker anfügen kann.

In der Erstfassung der Cena führt Frulla das paradoxe Lob weiter aus und nennt auch eine Reihe von Werken, die in den Umkreis dieser Tradition gehören:

Or vedete con qual similitudine potrete intendere per che Teofilo exaggere tanto questa materia: la qual quantumque rozza vi paia, è pur altra cosa che esaltar la Salza, l’Orticello, il Culice, la Mosca, la Noce e cose simili con gli antichi scrittori; e con que dei nostri tempi, il Palo, la Stecca, il Ventaglio, la Radice, la Gniffeguerra, la Candela, il Scaldaletto, il Fico, la Quintana, il Circello e altre cose che non solo son stimate ignobili, ma son anco molte di quelle stomacose. (146)

Die Bruno-Kommentatoren machen unter den Titeln der “antichi scrittori” in “Salza” bzw. “Salsa” das Moretum , ‘Kräuterkäsegericht’, und in “Culice” die genuin neoterische Culex, ‘Mücke’, aus, beides Vergil zugeschriebene Gedichte, sowie in der “Noce” die Nux Elegia, ein eventuell von Ovid stammendes Werk. Erstaunlicherweise machen sie keinen Versuch, die “Mosca” zu identifizieren – sie jedoch verweist augenscheinlich direkt auf Lukians Lob der Fliege und damit einen der im 16. Jahrhundert für die paradoxe Enkomiastik stilbildenden Texte.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 51

Der Verweis auf Lukian ist umso wahrscheinlicher, als auch unter den herbeizitierten Autoren “dei nostri tempi” neben anderen Burlesk-Autoren zwei ausgewiesenermaßen auf Lukian rekurrierende Schriftsteller auszumachen sind: Pietro Aretino, der eigene “Hetärengespräche” verfasst hat, und Anton Francesco Doni, dessen umfangreiche Dialoge zu phantastischen “wahren Geschichten” ausfransen.

Frulla reiht Teofilos Erzählung und die in ihr praktizierte paradoxe Erhöhung niederer Dinge also in eine lukianeske Tradition ein, aber gleichzeitig hebt er sie von ihr ab – “è pur altra cosa”. Dass es Bruno um mehr als die bloße Komisierung  seines Dialoges geht, liegt damit auf der Hand. Einsichtig wird dies auch dadurch, dass Bruno ja die hierbei üblichen Rechtfertigungsstrategien übergeht, allenfalls vorauszusetzen scheint: Wenn Bruno sich auf Lukian bezieht, so hält er es doch nicht für nötig, die Gestalt seines Werks wie dieser über seine Unterhaltsamkeit zu rechtfertigen. Er kündigt nämlich ohne weiteres an: “[...] trovarete cosa da far dissoluto san Colombino patriarca de gli Gesuati, far impetrar qualsivoglia mercato, smascellar le simie, e romper silenzio a qualsivoglia cemiterio” (10).

Als wiese Bruno Sigionios Verdikt, bei der Lektüre von Dialogen dürfe nur wenig gelacht werden, direkt zurück, wird unmäßiges Gelächter, das den Affen die Kiefer ausrenken und das Schweigen der Friedhöfe brechen soll, wird eine Verletzung des decorum, besonders sinnfällig im Bild des seine Keuschheit vergessenden Heiligen, für den vorliegenden Dialog schlicht versprochen. Lukianesk ‘Niederes’, Komödienelemente, Parodie und Satire erscheinen vielmehr gerechtfertigt vor dem Hintergrund des theoretischen Gehalts der Cena, auf dem Bruno in der Proemiale Epistola ja mehrfach insistiert – ob er nun behauptet, überall in der Cena sei Erkenntnis zu erlangen und insbesondere dort, wo es am wenigsten danach aussehe (15), oder Erkenntnisse aus allen Wissensbereichen verspricht:  “[...] si tirano a proposito topografie, altre geographiche, altre raziocinali, altre morali; speculazioni ancora, altre metafisiche, altre matematiche, altre naturali” (10). Insofern geht es Bruno also um eine ‘ernste’ Refunktionalisierung der parodistischen lukianesken Tradition, und insofern hat er alles andere im Sinn, als dialogische Geltungsansprüche wie Speroni aufgrund von Komödienparallelen einzuschränken.

Die Diskrepanz dieser Mischung von Komik und Ernst, Hohem und Niederem reflektiert Bruno in der Proemiale epistola selbst, wenn er den Widmungsträger anspricht, sich nicht zu wundern, dass überaus ernste Themen vor solch burleskem Hintergrund behandelt werden sollen – “[...] che sopra sì fatte inepzie e tanto indegno campo [...] abbiamo voluto exaggerar sì gravi e sì degni propositi” (15). Durch seine vielfache Insistenz auf dem theoretischen Gehalt der Cena warnt Bruno den Leser also davor, sich vom lukianesken Äußeren des Texts irreführen zu lassen, ermahnt ihn, an die ‘Knochen’ unter dem ‘Fett’ zu denken, oder, in Umkehrung Lukians, daran, dass unter dem komischen Spaß der philosophische Ernst versteckt ist. Dieses Thema kennt Bruno auch unter der allegorischen Gestalt des ‘Silens’, der denn in der Proemiale epistola auch an zentraler Stelle erwähnt wird. Um die Cena zu verstehen, schreibt Bruno dort, sei es unabdingbar, das aufzutun, was unter den Silenen verborgen sei – “scuoprir quel ch’è ascosto sotto questi Sileni” (14).

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 52

3. Erasmus’ Sileni Alcibiadis und Brunos ‘Poetik des Silen’

Der Silen, zunächst eine Art alter Faun und dann eine apotropäische Statuette zur Aufbewahrung von Schmuck, hat eine illustre philosophische Vergangenheit; als Motiv stammt er aus einem anderen um ein Gastmahl organisierten Text, dem platonischem Symposium. Darin bezeichnet Alkibiades den Sokrates als Silen, als jemanden, der bei hässlichem Äußeren innere Schätze birgt.(17) Das Motiv mit seiner Spannung zwischen Innen und Außen hat in der Renaissance Konjunktur, es findet sich etwa auch bei Pico della Mirandola. Weithin bekannt wird es schließlich durch eines der berühmtesten Adagia des Erasmus: Sileni Alcibiadis.

Erasmus paraphrasiert Platon zu Beginn seines Textes, lädt das Bild des Silens aber insbesondere christlich auf – ihm erscheint beispielsweise auch der Zimmermann Jesus als eine Art Silen –, und er fügt ihm eine wesentliche Nuance hinzu: Er macht die Gestalt doppelwertig. Es gebe, so Erasmus, nämlich nicht nur Silene, die hinter einer schlichten Erscheinung außergewöhnliches verbergen, sondern auch solche, die als ‘umgekehrte Silene’ ein prächtiges Äußeres über einem wertlosen Inneren zur Schau trügen, wie er zuerst an den ‘falschen Weisen’, dann aber vehement an der weltlichen und vor allem geistlichen Obrigkeit vorführt:

Latitant & hodie boni quidam Sileni, sed heu nimium pauci. Bona pars hominum, praeposterum Silenum exprimunt. Si quis rerum vim ac naturam penitus introspiciat, reperiet nullos a vera sapientia longius abesse, quam istos, qui magnificis titulis, qui sapientibus pileis, qui splendidis cingulis, qui gemmatis annulis, absolutam profitentur sapientiam.(18)

Die in der Epoche virulente Figur des Silens übernimmt Bruno gerade in dieser ambivalenten Ausprägung durch Erasmus, wie sich an der Quasi-Paraphrase des Adagiums in der Epistola esplicatoria seines im selben Jahr wie die Cena veröffentlichten Dialogs Lo Spaccio de la bestia trionfante ablesen lässt, in der Bruno einerseits auf dem komischen Äußeren der ‘wahren’ Silene insistiert, um andererseits das Bild des falschen Weisen als eines ‘umgekehrten’ Silen zu zeichnen:

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 53

Cossì dumque lasciaremo la moltitudine ridersi, scherzare, burlare e vagheggiarsi su la superficie de mimici, comici et istrionici Sileni, sotto gli quali sta ricoperto, ascoso e sicuro il tesoro della bontade e veritade: come per il contrario si trovano più che molti, che sotto il severo ciglio, volto sommesso, prolissa barba, e toga maestrale e grave, studiosamente a danno universale conchiudeno l’ignoranza non men vile che boriosa, e non manco perniciosa che celebrata ribaldaria. (460-461)

Als solche ‘umgekehrten Silene’ sind in der Cena die beiden Oxforder Aristoteliker Torquato und Nundinio gestaltet – die kostbaren Ketten und Ringe, die sie tragen, scheinen sich ja direkt von Erasmus’ Attributen der ‘falschen Weisen’, von ihren “splendidis cingulis” und “gemmatis annulis” herzuleiten.

Die Gestalt des Silen durchzieht Brunos gesamtes Werk; der Bruno-Forscher Michele Ciliberto spricht von der “silenicità” als einer Grundstruktur seiner Philosophie, die eine besondere Aufmerksamkeit für die kleinen, gemeinhin als unwichtig angesehenen, in Bedeutungshierarchien unten angesiedelten Dinge propagiere.(19) Ähnlich konzentriert sich für seinen Kollegen Nuccio Ordine im Bild des Silen die jegliche Dichotomien aufweichende, gar sie umstürzende antihierarchische Kraft der Philosophie Brunos.(20) Für unseren Zusammenhang, für die Interpretation der Cena de le ceneri, ist allerdings seine Verwendung als poetologische Metapher entscheidend.

An einer Stelle seines Adagiums deutet Erasmus den Silen bereits selbst poetologisch bzw. theoretisiert gar so etwas wie eine ‘silenische’ Schreibweise. Er schreibt nämlich im Hinblick auf den Text der Bibel: “Iam habent & suos Silenos arcanae Litterae. Si consistas in superficie, ridicula nonnunquam res sit: si penetres usque ad anagogen, divinam adores sapientiam”.(21)

Die traditionell angenommene Allegorik des Bibeltextes charakterisiert Erasmus insbesondere dann als ‘silenisch’, wenn seine Textoberfläche aus ‘niederen’, komischen, gerade das decorum verletzenden Elementen gebildet ist, als scheinbar “obscoenam fabulam”, wie Erasmus anhand einiger Beispiele unterstreicht: des Inzests Lots mit seinen Töchtern, des ‘verliebten Alten’ David, den die Umarmung eines jungen Mädchens wärmt, der Geschichte Samsons und der Ehe des Propheten Hosea mit einer Tempeldirne. An diesen ‘silenischen’ Texten erweise sich, schließt Erasmus an, dass Wahrheit stets tief verborgen und nur schwer und wenigen zugänglich sei.

Damit werden aber auch Brunos “mimici, comici et istrionici Sileni” als ein präzises literarisches Programm lesbar. Nimmt man diese ‘Poetik des Silen’ ernst, gilt Bruno eine ‘niedere’ und komische Textoberfläche offenbar einerseits als besonderer Index eines theoretischen Gehalts – überall in seinem Dialog seien Erkenntnisfrüchte zu ernten, und vielleicht gerade dort, wo es am wenigsten danach aussehe, behauptet er ja – und andererseits – “veritas semper altissime latet” – gar als Ausweis der Wahrheit der unter ihr verborgen vorgebrachten philosophischen Position, des “tesoro della bontade e veritade” (460), wie es im Spaccio ja geheißen hatte.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 54

Behält man diese Poetik im Hinterkopf, bekommen die von Bruno benutzten lukianesken Komödienmodi eine spezifische argumentative Funktion. Sie dienen keineswegs dazu, wie bei Speroni oder auch Lukian selber, dem ernsten, hohen Dialog komische, niedere Themen zu erschließen. Vielmehr führt die komische Darstellung gewisse verschlüsselte Positionen bereits durch ihre Darstellungsstruktur als wahr und somit anderen überlegen vor: Werden die Oxforder Aristoteliker als ‘umgekehrte Silene’ entlarvt, steht der Nolaner als wahrer Silen für neue philosophische Erkenntnisse. Damit aber wird Bruno von der diskursiven Argumentation entlastet. Was wahr ist – nämlich das, was der Nolaner vorbringt –, wird ja bereits gezeigt und muss nicht erst noch logisch dargelegt werden. Komödienelemente schränken bei Bruno also Geltungsansprüche für Aussagen nicht ein, sondern bekräftigen sie paradoxerweise vielmehr.

Brunos so zu fassender ‘ernster Lukianismus’ bleibt in der Forschung jedoch meistens unterbelichtet, und zwar in erster Linie deshalb, weil Erasmus im Kontext Brunos häufig nicht in seiner Funktion als Relais der Lukianschen Vertextungsmodi wahrgenommen wird. In der Figur des Silen wird diese Funktion jedoch emblematisch greifbar. Die in der Regel eher philosophiehistorisch ausgerichteten Bruno-Forscher interessieren sich für Erasmus allerdings nur als gedanklichen Stichwortgeber Brunos, auch wenn die angedeutete Relaisfunktion im Gesamtbild der Epoche klar zu Tage liegt: Erasmus und Lukian verschmelzen im 16. Jahrhundert geradezu zu einer einzigen Figur.(22) Satirisch belegt wird die enge Verbindung der beiden Autoren beispielsweise von einer Stelle der Dialoghi piacevoli (1539) Nicolò Francos. Dort möchte ein pedante und Schulmeister bei seiner Ankunft im Totenreich zuallererst mit zwei Personen zusammentreffen – die eine ist Lukian, die andere Erasmus. Eine solch prominente Stellung erlangte Erasmus insbesondere dadurch, dass er erstens mehr Texte Lukians als andere Gelehrte der Zeit ins Lateinische übersetzte und publizierte, sowie zweitens, dass seine Übersetzungen, wie italienische Humanisten neidvoll eingestehen mussten, schlicht die besten waren. Und schließlich praktizierte Erasmus in zweien seiner Werke selbst lukianeske Modi in Meisterschaft: im Moriae encomium und, in Dialogform, in den Colloquia familiaria, die als wahre Bestseller der Epoche besonders einflussmächtig wurden.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 55

4. Die Figur des Pedanten in der Cena de le ceneri

Doch wie handhabt Bruno nun einige konkrete Komödienelemente in seinem Dialog? Durch den Mund Frullas, des Dieners, beispielsweise greift Bruno die philosophischen Gegner des Nolaners besonders direkt und drastisch an – viel direkter als er dies durch Teofilo könnte, der als Philosoph ein gewisses decorum zu wahren hat; im Verlauf des Dialogs verschärft Frulla denn auch häufig die Aussagen Teofilos noch einmal. Meistens desavouieren sich die Kontrahenten des Nolaners aber einfach selbst – denn Bruno stellt sie systematisch als pedanti dar.

Der Pedant ist das wichtigste Element der Komödie, das in die Cena übertragen worden ist; er fungiert gewissermaßen als Scharnier zwischen den beiden Gattungen. Im Dialog erhält er jedoch eine weit gewichtigere Rolle als in der Komödie, auch als in Brunos eigener Komödie Il Candelaio – Der Kerzenzieher (1582). Dort war er einfach eine lächerliche Figur; hier jedoch wird er zum Gegenspieler des Nolaners, an dem sich der Philosoph mühevoll – und durchaus nicht immer erfolgreich – abarbeiten muss: In der Diskussion blamieren sich die Aristoteliker zwar, doch weigern sie sich trotzdem, die Überlegenheit des Nolaners anzuerkennen oder gar seine Einsichten anzunehmen.

Ein Pedant ist wie gehabt nicht nur Prudenzio, der in der Sprecherliste direkt als “pedante” gekennzeichnet wird und dessen Name, wie um ihn als Archetypus zu kennzeichnen, der Hauptfigur einer Komödie mit dem Titel Il pedante (1538) von Francesco Belo entlehnt ist. Pedanten sind auch die Oxforder Aristoteliker, sei es dadurch, dass ihr Verhalten explizit als ‘pedantisch’, in den Worten Frullas als “pedantesca ostinatissima ignoranza e presunzione” (101) charakterisiert wird; sei es, dass sie mit Prudenzio parallelisiert werden. Und schließlich hat Bruno alle drei mit den für den pedante typischen Charakteristika ausgestattet. Diese sollen im Einzelnen nun nachgezeichnet werden.

Als Parodie des Humanisten kennzeichnet den pedante natürlich dessen zentrale Hochschätzung der Rhetorik, die philosophischen Rang erhält. Paradigmatisch drückt sich diese humanistische Konzeption in einem Brief Petrarcas aus, in dem dieser aufzuzeigen versucht, “wie Beredsamkeit (eloquentia), als literarische Zucht, und Philosophie, als Pflege der Seele, eng verwandt sind. Die Rede – sermo – zeige im Ausdruck das Maß ihrer selbst und der Seele, der sie entspringt”, wie der große, unlängst verstorbene Renaissance-Forscher Eugenio Garin schreibt.(23) Die litterae werden so zum wichtigsten Erkenntnisinstrument.

Beim Pedanten als Figur einer karikaturalen Kultur, die jeden Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hat,(24) ist dieses Instrument freilich weitgehend sinnentleert; korrekter Sprachgebrauch ist nicht mehr nur Bedingung korrekten Denkens, sondern wird zum Selbstzweck, der ohne Weltbezug bleibt. So haben für Prudenzio denn auch die Klärung von Etymologien und Wortbedeutungen den Stellenwert philosophischer Erkenntnisse. Gleich zu Beginn des ersten Dialogs ruft er etwa aus: “O seclum, voi mi parete far poco conto delle buone lettere. Come potremo far un buon tetralogo, se non sappiamo che significhi questa dizzione ‘tetralogo’?” (22), er erklärt dieses letzte Wort und tadelt Teofilo für eine “obsoleta et antiquata diczione” (20).

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 56

Teofilo weist solche Einwände als “discorsi grammaticali” (22) zurück und stellt damit ihre Referenzlosigkeit heraus. Ein auf ähnliche Weise völlig äußerlich bleibendes philologisches Interesse charakterisiert auch die Oxforder Aristoteliker, insbesondere Torquato, der laut Teofilo von Kopernikus’ Buch nur folgendes weiß: den Titel, den Namen des Autors und des Druckers, den Druckort, das Erscheinungsjahr sowie die Anzahl der zum Druck verwendeten Papierbögen. Und weil er nicht “ignorante in gramatica” (63) sei, habe er auch noch das Einleitungsschreiben verstanden. Machen die Pedanten damit letztlich nur Aussagen über Wörter, stoße der Nolaner, so Teofilo, hingegen zu den Dingen selbst vor (23).

 Wie mit der “gramatica” im Zitat schon anklingt, gehört zum Pedanten der fetischisierte Gebrauch des Latein. Prudenzios Sprache ist von Latinismen wie der oben zitierten “diczione” durchzogen, auch ganze seiner Repliken sind lateinisch, mitunter wiederholt er wortgetreu die Aussagen seiner Gesprächspartner – nur auf Latein übersetzt, womit die Irrelevanz seiner Aussagen sinnfällig gemacht werden soll. In derselben Perspektive ist auch die erste Frage zu lesen, die Smith über die Oxforder Aristoteliker stellt. Sie gilt nicht ihrer philosophischen Befähigung, sondern ihren Lateinkenntnissen – “Parlavan ben latino?” (19) –, kurz darauf fragt er nach ihrem Griechisch, und späterhin firmieren sie als “dottori in gramatica” (101). Die gesamte Diskussion mit dem Nolaner führen sie auf Latein – dies freilich, weil er kein Englisch, sie kein Italienisch verstehen.
Und schließlich ist ein Charakteristikum des pedante die kontextlose Zitatengesättigtheit seiner Rede, sein keine Rücksicht auf den Zusammenhang nehmendes Vergnügen an Sentenzen und zitierbaren Floskeln, die er Sentenzensammlungen wie den Disticha Catonis oder den Adagia des Erasmus entnimmt. So zitiert Prudenzio neben Textstellen aus der Bibel, aus Vergil und Lukrez gerade auch aus den genannten Sammlungen. Und Frulla wirft den Oxforder Aristotelikern vor, die Diskussion mit dem Nolaner mit einer Handvoll Adagia des Erasmus bestreiten zu wollen, anstatt Argumente ad rem beizutragen, wie es dann paradoxerweise Torquato dem Nolaner vorwirft. Wiederum gilt es also, die bloße Äußerlichkeit und damit Irrelevanz ihrer Aussagen deutlich zu machen.

Indem Bruno die philosophischen Gegner des Nolaners dergestalt als pedanti zeichnet, setzt er sie von vorneherein ins Unrecht. Sie disqualifizieren sich also bereits durch ihr Auftreten als philosophische Alternative zum Nolaner. Eine sachliche Diskussion kommt zwischen ihnen gar nicht zustande, weil die beiden Engländer offenbar zu verbohrt sind, um Denkalternativen auch nur erwägen zu können, aber Bruno muss auch keine philosophischen Argumente bemühen, um das Ziel seines Dialoges zu erreichen: Allein die Darstellung der Aristoteliker macht den Nolaner ihnen gegenüber ja schon zu einem unverstandenen Genie.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 57

Ein ‘echter’ Dialog, ein Austausch von Argumenten, findet allein im letzten Teil der Cena statt, wenn der Bericht über den Disput des Nolaners bereits abgeschlossen ist. Dort diskutieren nur noch Teofilo und Smith miteinander. Je länger Smith zugehört hat, desto mehr hat er sich vom Skeptiker zum Anhänger des Nolaners gemausert. Jetzt hat er einige Nachfragen und will dessen Philosophie gar weiterdenken. Auf ihrer Basis kommt es kurz vor Ende des Dialogs doch noch zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch. Damit lässt Bruno seinen Text auch auf der äußeren Dialogebene etwas vorführen, was er sich bei seinen Lesern als Einsicht erwünscht. Auf der inneren Ebene war dies die Autorität des Nolaners gewesen. Hier heißt das nun: Wer sich erst einmal auf seine Philosophie einlässt, hat reiche Erkenntnis zu gewinnen. Und wenn innerhalb des Dialogs der Engländer Smith dies tut, dann, so hofft Bruno, mögen dies außerhalb des Textes auch die lesenden Engländer so halten.

Doch letztlich ist Brunos Rechnung nicht aufgegangen. Vielmehr muss die wenig schmeichelhafte Darstellung der englischen Gelehrten einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen haben. In seinem zweiten Dialog, De la causa, prinicipio et uno, ist noch ein Echo davon spürbar. Bruno war sogar gezwungen, sich aus dem intellektuellen Leben eine Zeitlang zurückzuziehen. Die erhoffte Anstellung erhielt er nie. 1585 musste er nach politischen Wechselfällen England  wieder verlassen; sein Wanderleben begann von vorne: Die nächsten Jahre sahen ihn in Deutschland, wo er von Zeit zu Zeit an Universitäten Vorlesungen hielt, im katholischen Mainz, im lutherischen Wittenberg, in Marburg, Helmstedt und Frankfurt. 1591 folgte er der Einladung eines italienischen Adligen, ihn in Venedig in der “ars memoriae” zu unterrichten. Bruno sagte zu, wohl froh, nach fünfzehnjähriger Abwesenheit wieder in sein Heimatland zurückzukehren. Doch schon im folgenden Jahr wurde er bei der Inquisition denunziert und eingekerkert. Man machte ihm den Prozess, erst in Venedig und dann in Rom, und nach acht langen Jahren des Verhandelns, Wartens und Taktierens wurde Bruno im Frühjahr 1600 schließlich auf dem Campo dei Fiori als Ketzer verbrannt. Er selber blieb sich seiner philosophischen Sache indessen immer sicher, ganz der Figur des Nolaners gemäß, dem Selbstbild, das er in der Cena für sich entworfen hatte. Als sein Urteil verlesen wurde, hatte er für seine Richter nur einen Satz übrig: Angesichts der Wahrheiten, die er verkündet habe, hätten sie größere Angst, ihn zum Tode zu verurteilen, als er, ihr Urteil hinzunehmen.

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 58

Auswahlverzeichnis der Schriften Brunos

Gesamtausgaben der italienischen Dialoge

- Dialoghi italiani, hg. v. Giovanni Aquilecchia, mit Anmerkungen v. Giovanni Gentile, Florenz: Sansoni, 1958.
- Œuvres complètes, 7 Bde., zweisprachig italienisch-französisch, hg. v. Yves Hersant u. Nuccio Ordine, Paris: Les Belles Lettres, 1993-1999.
- Dialoghi filosofici italiani, hg. v. Michele Ciliberto, Mailand: Mondadori, 2000.

Einzelausgaben in deutscher Übersetzung (in der Reihenfolge des Erstdrucks)

- Der Kerzenzieher, hg. u. übers. v. Sergius Kodera, Hamburg: Meiner, 2003.
- Das Aschermittwochsmahl, hg. u. übers. v. Ferdinand Fellmann, Frankfurt a.M.: Insel, 1969.
- Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, hg. v. Paul Richard Blum, Hamburg: Meiner, 1993.
- Über das Unendliche, das Universum und die Welten, hg. u. übers. v. Christiane Schultz, Stuttgart: Reclam, 2004.
- Die Vertreibung der triumphierenden Bestie, hg. u. übers. v. Ludwig Kuhlenbeck, Leipzig: Diederichs, 1904 (bisher noch keine Neuübersetzung erschienen).
- Von den heroischen Leidenschaften, hg. u. übers. v. Christiane Bachmeister, Hamburg: Meiner, 1989.
- Die Kabbala des Pegasus, hg. u. übers. v. Kai Neubauer, Hamburg: Meiner, 2000.

 

Henning Hufnagel
Adresse fehlt noch!!!

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 59

(1) Vgl. Aristoteles, Poetik 1447a/b.

(2) Lukian, Werke in drei Bänden, hg. v. Jürgen Werner, Herbert Greiner-Mai, übers. v. Christoph Martin Wieland, Berlin/Weimar 1974, Bd. III, S. 344.

(3) Ebd., S. 344.

(4) Die Bezüge sind freilich zahlreich; es soll nur ein weiterer genannt werden, der die Parodie unmittelbar evident macht: Wie bei Platon mit Eryximachos ein Arzt am Gastmahl teilnimmt, tritt auch in Lukians Dialog ein Arzt auf, Dionikus, der allerdings seine beruflichen Fähigkeiten auch praktisch unter Beweis stellen muss, da das Gespräch der Philosophen in einer Schlägerei endet.

(5) Ebd., S. 337. Der Dialog heißt Der doppelt Angeklagte, weil neben dem Dialog auch die Rhetorik den ‘gewissen Syrer’ vor Gericht zieht – jedoch nicht wegen Misshandlung, sondern wegen Untreue: Er habe ja die Gattung der Gerichtsrede, in der er bisher brilliert habe, zugunsten des Dialogs aufgegeben (vgl. ebd., S. 331-336).

(6) Ebd., S. 336-337.

(7) Vgl. ebd., S. 338: Der ‘Syrer’ nennt typische Dialogthemen wie die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele oder des Wesens der Rhetorik und schließt dann: “[...] an solchen Schnurrpfeifereien hat er [der Dialog] eine ganz eigene Freude, gerade wie Leute, die die Krätze haben, sich gerne kratzen”.

(8) Ebd.

(9) Sperone Speroni, Opere di M. Sperone Speroni degli Alvarotti tratte da’ mss. originali, Bd. I, Venedig 1740, S. 267.

(10) Ebd., S. 275.

(11) Ebd.

(12) Carlo Sigonio, Del dialogo, hg. v. Franco Pignatti, Rom 1993, S. 154, 156.

(13) Ebd., S. 260.

(14) Giordano Bruno, Dialoghi filosofici italiani, hg. v. Michele Ciliberto, Mailand 2000, S. 15. Im Folgenden wird aus diesem Band direkt im Text nur unter Nennung der Seitenzahlen zitiert.

(15) In den Wahren Geschichten macht Lukian seine parodistische Intention ja gleich zu Anfang deutlich, wenn er schreibt, dass “[...] die Einzelheiten der Erzählung nicht ohne Spott Anspielungen enthalten auf gewisse alte Dichter, Schriftsteller und Philosophen, die viel Wunderliches und Fabelhaftes geschrieben haben”, aber als wahr ausgegeben hätten, während er, Lukian, gerade darin die Wahrheit sage, dass er in den Wahren Geschichten lüge (Lukian, Die Hauptwerke des Lukian, hg. u. übers. v. Karl Mras, München 1954, S. 328-331).

(16) Vgl. David Marsh, Lucian and the Latins: Humour and Humanism in the Early Renaissance, Ann Arbor 1998, S. 150. Das Buch David Marshs gibt den bisher besten Überblick über die Lukian-Rezeption der Lateinhumanisten. Wer sich tiefergehend informieren möchte, sollte zu Michael O. Zappala, Lucian of Samosata in the Two Herperias. An Essay in Literary and Cultural Translation, Potomac 1990, greifen.

(17) Vgl. Platon, Symposium 215a/b.

(18) Erasmus, Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia, Bd. II, hg. v. Johannes Clericus, Leiden: Petrus Vander, 1703, Nachdruck Hildesheim/Zürich/New York 2001, sp. 772.

1(9) Vgl. Michele Ciliberto, Umbra profunda. Studi su Giordano Bruno, Rom 1999, S. 79.

(20) Vgl. Nuccio Ordine, Asinità e conoscenza in Giordano Bruno, Neapel 1987, S. 108-110.

(21) Erasmus, Opera, sp. 773.

(22) Vgl. Letizia Panizza, “La ricezione di Luciano da Samostata nel Rinascimento italiano: coripheus atheorum o filosofo morale?”, in: Jean-Pierre Cavaillé (Hg.), Sources antiques de l’irréligion moderne: le relais italien, XVe- XVIIe siècle, Toulouse 2001, S. 124.

(23) Eugenio Garin, Der italienische Humanismus, Bern 1947, S. 11-12. Garin verweist auf Petrarca, Epistolae familiares, I, 8.

(24) Bei den Charakteristika des Pedanten der Renaissance-Komödie stützen wir uns auf Antonio Stäuble, “Una ricerca in corso: il personaggio del pedante nella commedia cinquecentesca”, in: Maristella de Panizza Lorch (Hg.), Il teatro italiano del Rinascimento, Mailand 1980, S. 85-101.