zurück     |       |   Seite drucken    

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 89

Evamaria Rieger

Tabula magica Philosophie“-
Filmprojekt einer 7. Lateinklasse


Die Voraussetzungen

Ein Pluskurs in der Klasse 7b, das heißt eine Wochenstunde zur freien Gestaltung. Einzige Vorgabe: den besonderen Bedürfnissen und Möglichkeiten einer sehr aufgeweckten Gymnasialklasse (Förderklasse für Hochbegabte am Gymnasium Gauting) einigermaßen gerecht zu werden. Eine Luxusstunde sozusagen für Lernangebote über den normalen Unterrichtsstoff hinaus. Für die Klasse und mich war gleich klar: Es sollte wieder ein Filmprojekt werden, denn in den beiden vorausgehenden Schuljahren hatten wir gemeinsam bereits den lateinischen Sprachlehrfilm „Tabula magica“ gestaltet. Die Schülerinnen und Schüler waren nach diesen zwei Jahren jedenfalls mit dem Medium Film und seinen Möglichkeiten schon halbwegs vertraut.

 

Warum überhaupt ein Film?

Kinder lieben dieses Medium und sind mit großem Eifer und erstaunlicher Ausdauer auch über längere Zeiträume bei der Arbeit. Dabei lernen sie, das Wesentliche des Unterrichtsstoffs zu erkennen, präzise zu formulieren und anschaulich, stimmig und pfiffig zu präsentieren. Sie sehen, hören und verstehen, wie man mit Text, Ton und Bild wirkungsvoll gestaltet. Und sie erleben, dass dies nur im Team gelingt, wenn jeder seine besonderen Talente entdecken und einbringen kann. Filmarbeit ist Teamarbeit.

 

Wieso Philosophie?

Bei unserem Sprachlehrfilm „Tabula magica“ hatten wir uns weitgehend an den Inhalten unseres Buches Latein mit Felix (C.C. Buchner, Bamberg) orientiert. Dabei standen römisches Alltagsleben, Geschichte und besonders Mythologie im Mittelpunkt, kurz, die Stoffe, aus denen sich kindliche Neugier und Phantasie von 11 bis 12-Jährigen speisen. Mit unbefangener Begeisterung wurde moderiert, gestaltet und gespielt. In der beginnenden Pubertät geht, entwicklungspsychologisch bedingt, ein Teil dieser spontanen Unbefangenheit verloren. Der Verstand überlagert allmählich das Gefühl. Der Geist der Jugendlichen vollzieht, ein wenig philosophisch-hochtrabend ausgedrückt, den Schritt vom Mythos zum Logos.


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 90

Die Kinder nahmen also den Themenvorschlag „Philosophie“ mit Neugier und einer gewissen Genugtuung an; man traute ihnen diese geistige Kost immerhin zu! Als Projektleiterin hatte ich mit dem Thema außerdem die Chance, den Schülern und Schülerinnen einen Zugang zu diesem wichtigen Teil unseres griechischen Erbes zu ermöglichen, der sonst in den Lehrplänen immer ein wenig zu kurz kommt. Auch für fächerübergreifende Zusammenarbeit eignet sich Philosophie bestens, zum Beispiel Natur und Technik bei Thales mit dem Thema Wasser oder Musik und Physik bei Pythagoras.

 

Das Drehbuch

Die Hauptlast des Drehbuchschreibens lag, das muss ehrlich gesagt werden, bei der Lehrerin. Schüler kann man am Anfang mit einer derart komplexen Materie natürlich nicht allein lassen. Ein wohlüberlegter, wohldosierter und wohlstrukturierter Input ist die Voraussetzung dafür, Lust auf die Materie zu machen und eigenständiges Weiterfragen und Forschen in Gang zu setzen. Auch die besondere Textform des Drehbuchs muss ja erst einmal vermittelt werden. Bei der Vorbesprechung der jeweils nächsten Folge anhand des Drehbuchtextes (gemeinsam mit Overheadfolie) kamen dann diverse Regieeinfälle von Schülerseite, die oft nicht nur der Anschaulichkeit dienten, sondern meist auch wirklich witzig waren. Dabei war freilich auch das eine oder andere Zugeständnis an den Schülergeschmack erforderlich. Schließlich sind ja auch Schüler anderer Klassen die Hauptzielgruppe des fertigen Produkts.

 

Der Aufbau der einzelnen Folgen

Der gedankliche Input beginnt jeweils mit einem Moderationsteil, dargeboten von einem Sprecher, einer Sprecherin und „Callidus“, der nur bei Bedarf erscheint und als Schlaumeier vom Dienst (nomen est omen) mit viel komödiantischem Talent agiert. Dramaturgisch notwendig ist diese Kunstfigur, um in humorvoller Brechung auch besonders anspruchsvolle Gedanken und Begriffe einzuführen, ohne dass der Eindruck der intellektuellen Überfrachtung entsteht. Callidus nimmt man es nicht nur ab, dass er auch Goethe und Schiller zitiert, man erwartet es sogar von ihm und freut sich besonders, wenn er mit seinen Weisheiten auch einmal voll daneben liegt. Ein klassischer running gag.

Eine besondere Herausforderung liegt beim Thema Philosophie natürlich in der Visualisierung. Schließlich ist Anschaulichkeit einer der wesentlichen Vorzüge beim Film. Nicht immer bieten sich dabei echte action oder dialogische Szenen an. Aber mit etwas Phantasie kann man auch eher textlastige Passagen kurzweilig gestalten. Da sieht man Thales in Ägypten, wie er die segensreiche Wirkung des Wassers beobachtet: Die Pflanzen wachsen ihm vor der Nase empor, oder man wirft beim Stichwort logos einen Blick in den griechischen Text des Neuen Testaments und hebt das Wort mit Lupe besonders hervor.



                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 91

Wenn dieses Wort dann später in der griechischen Schreibwerkstatt nochmals erscheint, erkennt man es auch vom griechischen Schriftbild wieder. Besonders wichtig sind aber auch echte Spielszenen mit Dialogen und Handlung: Thales beim Messen der Pyramiden, Pythagoras mit Musen und Monochord, Schüler beim Lauschen nach Sphärenmusik, Nanowesen, die Atome fangen und vergeblich zu teilen versuchen, der umjubelte Protagoras auf dem Marktplatz mit seinen wichtigsten Thesen, Szenen einer Ehe mit Sokrates und Xanthippe, Sokrates vor Gericht seien nur als Beispiel genannt.

Der sprachliche Schwerpunkt liegt bei „Tabula magica Philosophie“ naturgemäß auf der griechischen Lexik und ihrer Bedeutung für Fremdwörter und Terminologien. In der griechischen Schreibwerkstatt werden die Wörter, die in den Spielszenen oder auch im Moderationsteil vorkamen, noch einmal stilecht auf Pergament geschrieben, in ihrer ursprünglichen Bedeutung erklärt oder auch zu Fremdwörtern in Beziehung gesetzt. Unsere griechische Schreiberin hatte sich, nur für diesen Zweck, in kurzer Zeit wahrlich zur Kalligraphin entwickelt.

 

Fazit

Wer schon einmal mit Filmarbeit zu tun hatte und als Lehrer weiß, wie viel (besser: wie wenig) in einer einzigen Wochenstunde, am Ende eines langen Vormittags, geleistet werden kann, dem lässt sich nichts vormachen: Es war eine anstrengende, alle Beteiligten stets fordernde Arbeit, im Vorfeld, bei den Dreharbeiten selbst und in der Nachbearbeitung. Aber hier gilt eben auch: per aspera ad astra. Die Mühen habe ich angedeutet, die „Sterne“ sind buchstäblich greifbar als DVD oder Videokassette. Das Wichtigste aber lässt sich nicht in Materie festhalten. Was bleibt, sind die Erfahrungen aus dieser gemeinsamen Arbeit, das Entdecken eigener Stärken, die Erkenntnis, dass manche vermeintliche Schwächen (etwa beim Sprechen oder Schauspielen) nicht naturgegeben sind, sondern sich beheben lassen, das Bewusstsein dafür, wie bei Film- und Videoarbeit, nicht nur mit Tricks, manipuliert werden kann, das Gespür dafür, wie wichtig der Ton für die Wirkung ist, dass die Nachbearbeitung einen Film erst zum Film macht, dass aber auch das beste Computerprogramm nicht zaubern kann. Es gilt das gleiche, wie beim Kochen auch: was nicht in den Topf (die Kamera) hinein kommt, kommt auch nicht heraus, jeder muss bei der Arbeit das Beste geben und alle sind wichtig, vor und hinter der Kamera, vom Hauptdarsteller bis zum Tonangler.

 

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 92

Als betreuende Lehrerin muss ich sagen, dass ich das Projekt ohne Kenntnisse und Übung im Umgang mit Kamera und Computer-Filmschnitt nicht hätte durchführen können. Trotz dieser Vorkenntnisse habe ich bei Vorbereitung und Nachbearbeitung auch viel Zeit ohne Schüler für das Projekt verbracht. Wenn man den Schülern mehr selbst überlassen wollte, müsste der Zeitrahmen um ein Vielfaches größer sein.

Warum mir diese Arbeit trotzdem so wichtig und all die Mühen wert ist, werde ich manchmal gefragt. Ein Teil der Antwort ist mit der obigen Aufzählung dessen gegeben, was den Schülern an persönlichkeitsbildenden Erfahrungen aus der Filmarbeit bleibt. Der zweite Grund ist für mich die Möglichkeit, auf diesem Weg die Bedeutung der griechischen Sprache und Geisteswelt für unsere Kultur auch bei den Kindern zu verankern, die Griechisch nicht mehr als Schulfach lernen. Dies gilt in besonderem Maß für die Klasse, die das Projekt selbst gemacht hat. Eine besondere Belohnung oder besser Bestätigung unserer Arbeit ist für uns aber, dass sich der Film, in einzelnen Episoden und unter sinnvollem Einsatz der Pausentaste dargeboten (etwa bei griechischen Schrifteinblendungen), auch zum Einsatz in anderen Klassen bestens eignet. Ich habe dies schon mehrfach getestet und aus der einen oder anderen unbeliebten Vertretungsstunde eine kombinierte Griechisch-Philosophie-Stunde gemacht.


Evamarie Rieger
Oberstudienrätin am Otto-von-Taube-Gymnasium in 82131 Gauting, Germeringer Straße 41.
Privat: 82131 Stockdorf, Wörlveitstraße 23


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 93

Beispiel: Aus Folge 1, Vom Mythos zum Logos

MODERATOR 1: Liebe Freunde von Tabula magica! In unserer neuen Staffel beschäftigen wir uns mit einer Wissenschaft, die fast so alt ist wie die Welt.

Einblendung: Kinder, die sich staunend über beleuchteten Globus beugen.

MODERATOR 2: Na ja, auf jeden Fall fast so alt wie die Menschheit, seit sie begonnen hat, über die Welt nachzudenken. Unsere Wissenschaft heißt Philosophie.

MODERATOR 1: Worum es dabei geht? Machen wir doch erst mal eine kleine Umfrage!

Verschiedene „Passanten“ werden von Reporterin um eine Definition des Begriffs gebeten. Je ratloser sie im Film erscheinen, desto besser!

MODERATOR 2: Sehr aufschlussreich war das nicht gerade. Aber vielleicht kann uns Callidus da weiter helfen.

CALLIDUS: will, wie immer, eine supergescheite Antwort geben, gerät dabei aber ins Schleudern.

MODERATOR 1: Wohl gar nicht so leicht, den Begriff zu erklären.

Callidus ist wieder mal beleidigt.

MODERATOR 2: Was das Wort als solches bedeutet, erfahren wir am besten in unserer griechischen Schreibwerkstatt.

Philos und Sophia werden auf Papyrus geschrieben.

SCHREIBERIN: „Philos“ bedeutet „der Freund“. Und „Sophia“ heißt „das Verstehen, das Wissen, die Weisheit“. Ein Philosoph ist also jemand, der die Weisheit liebt.

MODERATOR 1: Liebe zur Weisheit oder einfach Wissensdurst entsteht durch das Staunen der Menschen über die Welt, in der sie Leben.

MODERATOR 2: In „Sophies Welt“, einem Philosophiebuch für Kinder, vergleicht der Autor Jostein Gaarder dieses Staunen mit der Reaktion der Zuschauer bei einem Zaubertrick.

Moderator wird in Plüschbären verzaubert (Videofilter geteiltes Bild) . Staunendes Publikum. Einer sitzt ostentativ gelangweilt in der Mitte.

MODERATOR 1: Als Philosoph völlig ungeeignet. In Sophies Welt lesen wir dazu (S. 23): „Die Fähigkeit, uns zu wundern, ist das einzige, was wir brauchen, um gute Philosophen zu sein.“


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 94

Beispiel aus Folge 3, Die Sophisten und Sokrates

MODERATOR 1: Salvete, spectatores, bei einer neuen Folge von ... (irritiert zu Moderator 2) Jetzt hör’ doch mal auf zu lesen, wir sind auf Sendung!

MODERATOR 2 (liest Artikel aus SZ Magazin) Eben! Und ich habe hier den supergeeigneten Einstiegssatz gefunden.

MODERATOR 1: Zeig’ mal her. (Skeptisch) In einem Artikel über Rummenigge?

MODERATOR 2: Genau: „Rhetorik ist die Kunst der Erfolgreichen.“ Ist doch genau unser Thema!

MODERATOR 1: Stimmt! Das wussten vor 2500 Jahren auch schon die Sophisten.

CALLIDUS: Von „sophos“, weise.

MODERATOR 2 (ironisch): Toll! Aber so weise sind wir inzwischen auch. Für die Sophisten passt allerdings die Bedeutung schlau oder clever viel besser.

MODERATOR 1: Allerdings! Es war schon eine ziemlich clevere Geschäftsidee, den Weg zum Erfolg als Ware anzubieten, in Rhetorikkursen zu lehren ...

MODERATOR 2 : ... und damit ganz schön Geld zu verdienen. Die Kunden kamen jedenfalls in Scharen.

MODERATOR 1: Logisch! Jeder will doch erfolgreich und mächtig sein, und die Fähigkeit geschliffen und überzeugend zu reden ist für den Erfolg ganz, ganz wichtig.

MODERATOR 2: Denn nur, wer andere überzeugen kann, kommt zu Macht und Einfluss. Das gilt besonders in der Demokratie, die von den griechischen Stadtstaaten damals gerade erfunden worden war.

MODERATOR 1: Die Sophisten zogen also von Stadt zu Stadt...

CALLIDUS (belehrend): ...von Polis zu Polis...

MODERATOR 1: ...und machten aus raffinierten Formulierungen und Argumenten einen richtigen Sport...

MODERATOR 2: Den man erlernen kann, wie andere Fähigkeiten und Sportarten auch. Man muss halt nur fleißig trainieren – und natürlich: zahlen!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VIII/1 (2008), 95

CALLIDUS: Ehem, seinen Obulus entrichten!

Spielszene: Großaufnahme Plakat: Mit 50 Obolen zum Erfolg!

WERBESKLAVE 1: Mit nur 50 Obolen zum Erfolg! Reden lernen beim großen Protagoras!

WERBESKLAVE 2: Die schwächere Sache zur stärkeren machen? Alles ist möglich durch Rhetoriktraining bei Protagoras. Nur 50 Obolen!

Publikum versammelt sich, Kunden werfen Obolen in Topf. Großaufnahme.

WERBESKLAVE 1: Applaus für den großen Meister der Rede, Protagoras!

Applaus und Jubel.

PROTAGORAS (ein bisschen eitel): Liebe Freunde! Was wollt ihr hören vom großen Protagoras? Großes, von großen Dingen? Wollt ihr erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält? Nichts werdet ihr bei mir erfahren von diesen großen Dingen, über die wir doch nichts wirklich Wissen können, am allerwenigsten über die Götter. Wichtig ist nur eines: ... Der Mensch! Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Lässt andere Kursteilnehmer diesen Kernsatz wiederholen...

Sprich mir nach, mein Freund: (affektiert) Der Mensch...

KURSTEILNEHMER(deutlich überfordert): Das Mensch ist die Maß ....

PROTAGORAS (unwillig): Der Mensch ist das Maß ... (Voller Pathos) Ánthropos métron thanáton.

MODERATOR 1: Mit diesem Ausspruch, dem berühmten Homomensurasatz, hat Protagoras den Richtungswechsel der Philosophie auf den Punkt gebracht:

MODERATOR 2 Weg von Religion und Naturwissenschaft hin zum Menschen und seinem Platz in der Gesellschaft.

In der griechischen Schreibwerkstatt am Ende dieser Folge werden Rhetorik, Demokratie, Polis, Obolus, Anthropos und Metron noch einmal erklärt und die griechischen Ursprungswörter auf Papyrus geschrieben.