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I. Einleitung
II. Grundsätzliche Vorüberlegungen
1. Textauswahl
2. Textveränderungen
3. Text-Zeit-Relation
4. Berücksichtigung der Normalkonzentration des Schülers
5. Graphische Gestaltung der Textvorlage
6. Verwendeter Wortschatz
7. Eingebaute Syntax
III. Methode F. Maier
IV. Methode K. Bayer
1. Vorbemerkungen
2. Theorie
3. Praxis
V. Anwendungsbeispiele
1. Kurzbeispiel aus Caesar (Gall. V 55, 1)
2. Langbeispiel aus Caesar (Gall. I 1, 1-4)
Vortrag vom 2. Juli 2002 am Johannes-Turmair-Gymnasium Straubing
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Es wird kaum einen Erwachsenen geben, der Prüfungen wirklich liebt. Wer an dieser Tatsache zweifelt, braucht sich nur an seine Führerscheinprüfung zu erinnern. Warum sollte das bei einem Schüler (das Wort hier und im Folgenden kollektiv für beide Geschlechter gebraucht) nicht auch so sein? Andererseits kommt das Leben nicht ohne Prüfungen aus, und die Schule schon gar nicht. Wenn das schon so ist, muss man in jedem Fall verlangen, dass die Prüfung als solche fair ist. Die Fairness wird gern am Ergebnis gemessen: Bin ich mit leidlichem Anstand durchgekommen, so spare ich mir das Kritteln und betrachte mich lieber als besonders intelligent; habe ich versagt, so war natürlich die Prüfung unfair, hat sie doch ein verkanntes Genie traumatisiert. Eine solche Sicht der Dinge wäre freilich zu simpel. Es geht ja nicht immer um eine Ja/Nein-Entscheidung, sondern um abgestufte Urteile, also um Noten und letztlich um Chancen, die einen Lebensweg öffnen oder versperren
können. Bei solcher Lage der Dinge müssen an die Fairness des Verfahrens sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Es ist also der Veranstalter der Prüfung gefordert. Er arbeitet zwar niemals völlig unkontrolliert, doch ist sein Ermessensspielraum erheblich. Dieser Spielraum wird meistens in der Korrektur, genauer in der Bewertung der korrigierten Arbeit gesehen. Da wird nicht selten der Ausgleich für eine Überforderung, seltener für eine Unterforderung in der Bewertung einzelner Fehler oder in der Grenzziehung zwischen Fehlersummen gesucht: Gesamtergebnis 3,96 - da wird kein Fachbetreuer und kein Chef viel beanstanden wollen. Dieses Verfahren mag von Lebensklugheit zeugen, es liefert aber doch nur einen Fairness-Ersatz. Wichtiger ist es, sich beim Stellen einer Prüfungsaufgabe nicht im Schwierigkeitsgrad zu verschätzen. Hier ist Erfahrung gefragt. Woher soll der Anfänger sie haben? Und (jetzt benötigte man im Deutschen ein Wort wie quotusquisque ) welchem erfahrenen Lehrer wäre es noch nie passiert, dass er sich verschätzte? Er darf hier zu lesen aufhören.
Das hier zu behandelnde Problem betrifft also die möglichst zuverlässige Bestimmung des Schwierigkeitsgrades eines Prüfungstextes, in unserem speziellen Fall eines lateinischen Klassenarbeitstextes v.a. der Mittelstufe. Normalerweise liegt vieles in der Hand des Aufgabenerstellers. Er steht dabei v. a. vor folgenden Problemen:
1. Textauswahl
Es ist eine Binsenweisheit, dass ein Prüfungstext von angemessener Schwierigkeit sein soll. Vor Missgriffen schützt man sich am besten dadurch, dass man den in Aussicht genommenen Text, namentlich wenn er nicht zum Routineprogramm gehört, nicht nur in Gedanken übersetzt, sondern schriftlich ausformuliert. Wenn man als Fachmann dabei irgendwo hängenbleibt oder zweifelt, sollte man die Finger von diesem Text lassen. Der ausgewählte Text muss in sich schlüssig sein. Er sollte mit einer Überschrift, u. U. auch mit einem kurzen Vorspann versehen sein und eine zum Abschluss gebrachte, klar gegliederte Darstellung enthalten, sei es eine Beschreibung, eine Episode oder ein Problem, so dass der Übersetzer auch außertextliche Anhaltspunkte für die Lösung finden kann.
2. Textveränderungen
Wenn es irgend geht, sollte auf Manipulationen des Originaltextes verzichtet werden. Es hat sich gezeigt, dass wohlmeinende Veränderungen sogar zu einer Erschwerung führen können. Offenbar bildet sich im einigermaßen
sprachbegabten Schüler mit der Zeit völlig unbewusst ein Gespür für den richtigen Ablauf lateinischer Sätze.
3. Text - Zeit - Relation
Hierfür gibt es Erfahrungswerte, die durch die zur Verfügung stehende Prüfungsdauer bestimmt werden. In 45 Minuten, von denen noch einiges für Prä- und Postliminarien verbraucht wird, kann man nicht mehr als rund 100 lateinische Wörter verlangen, soweit nicht der Zeitbedarf für die Beantwortung von Zusatzfragen entsprechende Abstriche verlangt. Jedenfalls schlummert bereits hier die Gefahr der Überforderung.
4. Berücksichtigung der Normalkonzentration des Schülers
Nach den von Friedrich Maier aus der Fachliteratur übernommenen Erkenntnissen verläuft die Konzentration des Prüflings in folgender Weise (1)
Sie steigt bis etwa zum Ende des zweiten Drittels der Arbeitszeit an und sinkt danach stetig ab. Daraus folgt v.a., dass der Einstieg in den Text möglichst einfach sein sollte und dass sich die Schwierigkeiten nicht ausgerechnet im letzten Drittel der Arbeitszeit häufen sollten.
5. Graphische Gestaltung der Textvorlage
Durch die graphische Gestaltung des Aufgabenblattes kann man dem Übersetzer manche unverdächtige Hilfestellung bieten. Es bietet sich v. a. die Möglichkeit der absatzweisen, der satzweisen und der kolometrischen Gliederung des Schriftsatzes. Im übrigen bedeutet die jetzt wohl allgemein übliche Angaben-Anfertigung am PC einen m. E. großen Fortschritt in Richtung Klarheit des Schriftbildes.
6. Verwendeter Wortschatz
Alle im Prüfungstext vorkommenden Vokabeln müssen theoretisch bekannt sein; unbekannte werden angegeben. Solche Anmerkungen dürfen freilich nicht überwuchern (10% der Wörterzahl sind ein schon sehr bedenkliches Maximum). Anmerkungen werden vom Schüler nicht immer als Hilfe empfunden, sie wecken in ihm eher den Verdacht, dass es mit der Angemessenheit des Textes hapert.
7. Eingebaute Syntax
Die im bisherigen Lehrgang vorgestellten und eingeübten Syntax-Signale müssen als bekannt und damit erkennbar vorausgesetzt werden. Da der Schwierigkeitsgrad eines Textes vor allem von der Zahl und der Dichte der Syntaktischen Erscheinungen' abhängt, sollte man deren Zahl möglichst nicht über 15 steigen lassen. Keinesfalls darf man das Experiment riskieren, ob der eine oder andere Schüler nicht doch einen im Unterricht nie behandelten Sonderfall zu lösen vermag.
Es ist sicher fast unmöglich, sämtliche aufgeführte Aspekte zu berücksichtigen. Im Interesse der Erzielung eines vertretbaren Schwierigkeitsgrades sollten sie jedoch alle wenigstens bedacht werden. Das bisher Dargestellte referiert im Wesentlichen die Praxis der Aufgabenerstellung. Sie beruht auf Erfahrungen, die der einzelne im Laufe seines Lehrerlebens ansammelt. Neben dieser sehr schätzenswerten subjektiven Erfahrung gibt es aber durchaus Methoden, den Schwierigkeitsgrad objektiv festzustellen. Man darf von ihnen freilich nicht erwarten, dass sie sofort zum Ergebnis führen.
Der entscheidende Durchbruch ist Friedrich Maier in seinem dreibändigen Werk Der Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt (Bamberg: Buchners 1979 ff.) gelungen. Die von ihm empfohlene Methode stützt sich auf umfangreiche, sorgfältig dokumentierte Erhebungen aus allen in Frage kommenden Autoren in einem Gesamtumfang von rund 90.000 lateinischen Wörtern. (2) Die ausgewählten Texte wurden auf die Häufigkeit der wichtigsten syntaktischen Erscheinungen (SE) abgefragt. Als Mittelwert ergaben sich für einen Text von 100 bis 110 lateinischen Wörtern 16,5 SE.
Hierbei ergibt sich folgende Verteilung:
Relativsätze/relat. Satzanschluss | [3,09] | [3,8] | In Prozenten der Gesamtmenge der SE | 18,8% | 20,7% |
Gliedsätze | [4,68] | [4,7] | 28,5% | 25,5% | |
Infinitive | [4,12] | [4,1] | 25,1% | 22,3% | |
Partiz.; Abl.abs. | [2,08] | [3,0]* | 12,7% | 16,3% | |
Partizipien attrib./präd. | [1,36] | [1,0]* | 8,3% | 5,4% | |
Gerundivum | [0,75] | [0,9] | 4,5% | 4,9% | |
Gerundium | [0,28] | [0,8] | 1,7% | 4,4% | |
Supinum | [0,06] | [0,1] | 0,4% | 0,5% | |
Summe SE | [16,42] | [18,4] | Summe | 100,0% | 100,0% |
Wenn man diese SE den einzelnen SE-Kategorien in Form eines Stabdiagramms zuordnet und die Stabspitzen miteinander verbindet, ergibt sich eine eine charakteristische (im Bild fett ausgezogene) Mittelwerts-Linie (3):
Um den Schwierigkeitsgrad eines Textes zu bestimmen, wird die Zahl der im Text festgestellten SE als dünnere Konkret-Kurve eingezeichnet (4):
Aus der Zahl der festgestellten SE einerseits und aus dem Verhältnis der Konkretkurve zur Mittelwertkurve werden sodann Schlüsse auf den Schwierigkeitsgrad gezogen.
Dieses Ergebnis wird sodann an einem Vergleich der Anforderung mit der Konzentrationskurve kontrolliert und schließlich mit den tatsächlich aufgetretenen Fehlern konfrontiert. Auf ein Referieren dieser (an der zitierten Stelle nachlesbaren) Einzelheiten muss hier verzichtet werden. Jedenfalls bleibt es im wesentlichen bei dem Ersturteil:
Wie aus obigen Ausführungen erhellt, geht die Methode Maier primär von der Zahl der Syntaktischen Erscheinungen (SE) aus. Deren jeweilige Zahl gibt, in Relation zum statistischen Mittelwert 16,5 gesetzt, bereits einen ersten Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad. Den genaueren Schwierigkeitsgrad muss man durch Interpretation von Kurven ermitteln und als Worturteil formulieren.
Die nachstehend dargestellte Methode ist in der Anregung (7) erstmals veröffentlicht. Sie versteht sich als Weiterentwicklung der Methode Maier; außerdem benützt sie ein graphisches Verfahren, das Gerhard Fink im Cursus Brevis (8)
zur Veranschaulichung seiner Pendelmethode' vorgestellt hat.
1. Vorbemerkungen
Die Methode geht von der Befindlichkeit eines Durchschnittsschülers aus, der sich mit seinem Latein redlich abmüht. Die Momente, in denen er bei seiner Arbeit an einer Übersetzung mit einer Inkongruenz zwischen Latein und Deutsch konfrontiert wird, bewirken einen Stau seiner natürlichen Übersetzerneugierde. Es erwachen Unlustgefühle. Die Angst vor der Wahl falscher Alternativen und der mit dem Nachdenken einhergehende Zeitverzug können Panik auslösen und das Urteilsvermögen blockieren. Für solche Erlebnisse macht der Schüler die Schwierigkeit des Lateinischen oder wenigstens des vorgelegten Textes verantwortlich. Je öfter ihm Hindernisse begegnen und je dichter sie aufeinanderfolgen, desto höher schätzt er den Schwierigkeitsgrad ein und desto schmerzlicher fühlt er ein Ungenügen.
Es gibt Indikatoren, die als potentielle Auslöser solcher Affekte identifiziert sind. Sie lassen sich zählen und gewichten, also - gewiss in Grenzen - mathematisieren oder, wie man heute gerne sagt, digitalisieren: Aus der Summe der gewichteten Indikatoren und deren Verhältnis zur Textlänge gewinnt man eine begründete Aussage über den objektiven Schwierigkeitsgrad eines Textes. Die Methode läuft also auf die Umsetzung von Eindrücken in Numerisches hinaus. Der Kritiker wird sagen, dass man sich dabei an der Grenze zum Unmöglichen bewegt. Indes: Was macht der Lehrer anderes, wenn er Eindrücke in mündliche Noten, also Ziffernnoten übersetzt?
2. Theorie
Die nun vorzustellende Methode basiert auf drei Thesen:
a) Die Syntaktischen Erscheinungen (SE) sind besonders wichtig, aber nicht gleichgewichtig.
b) Zwischen der deutschen und der lateinischen Wortstellung bestehen beträchtliche Unterschiede.
c) Zur Herstellung eines lesbaren Übersetzungstextes müssen oft Wörter eingesetzt werden, die im lateinischen Text nicht oder nur versteckt zu finden sind.
zu a) Syntaktische Erscheinungen (SE):
Es dürfte einleuchten, dass die Übersetzung eines ut-Satzes in der Regel weniger schwierig ist als etwa die eines Ablativus absolutus. Das bedeutet, dass man diese SE unterschiedlich gewichten muss, und daraus folgt, dass jede SE auf ihr Gewicht hin untersucht werden muss.
Gerhard Fink hat eine Vorliebe für einprägsame Formeln. Eine davon lautet EVA'. Sie will besagen, dass beim Übersetzungsakt (häufig) drei Denkschritte nötig sind: E' = Erkennen, V' = Verstehen, A' = Ausdrücken.
Man sieht, dass jeder dieser drei Denkschritte (sofern der erste überhaupt gelingt!) je nach Art der SE eine Wahl zwischen Alternativen, Trinativen, Quaternativen verlangt. Daraus ergeben sich Gewichtungsunterschiede, die durch Gewichtungs-Einheiten ( GE ) erfasst werden. Um Missverständnisse auszuschließen:
- Es geht n i c h t um Fehler, sondern um Denkschritte .
- Bewertet wird n i c h t die Fehlerhaftigkeit oder Schönheit' einer Übersetzung (Das ist Aufgabe des Korrektors.).
Vorausgesetzt wird lediglich eine schmucklose Werkübersetzung , also z.B. Wiedergabe des AcI mit einem dass'-Satz, des Gerundivum (V) mit Verbalsubstantiv auf -ung, des Abl. abs. mit als, weil, obwohl usw. Das setzt voraus, dass der Schüler entsprechende Rezepte parat hat. Dass sie in den Grammatiken zu finden sind, nützt wenig; sie müssen auch im Unterricht besprochen und diskutiert werden.
zu b) Wortstellung:
Die Bedeutung der Wortstellung wird m.E. unterschätzt. In der Schülerkritik wird am Lateinischen nicht zuletzt bemängelt, dass die Wörter willkürlich durcheinandergewirbelt seien. Die dem zugrunde liegende Beobachtung ist zwar teutozentrisch - einem jungen Römer wäre Deutsch wohl nicht minder wirr vorgekommen -, aber doch sehr bedenkenswert. Meine Methode stellt stark auf sie ab. Wenn man für Subjekt S'(und s' für ergänztes Subjekt), für Objekt O' (und o' für ergänztes oder reflexives Objekt), für Adverbiale A', für Prädikat P' (und p' für das Hilfszeitwort) setzt, kann man die Unterschiede zwischen den Satzbauplänen im Lateinischen und im Deutschen gut veranschaulichen:
Magister discipulum interrogat. | SO P | sS P oO | Der Lehrer fragt einen Schüler. |
Tum eum laudat. | AOP | AP s O | Dann lobt er ihn. |
Is valde gaudet | SAP | SP o A | Der freut sich sehr. |
Valde gavisus est. | A Pp | s p oA P | Er hat sich sehr gefreut. |
s P oA | Er freute sich sehr. |
Man könnte diese Überlegungen noch in diverse Verästelungen weitertreiben. Für unseren Zweck genügt: Beim Übersetzen schon einfachster Sätze müssen die Wörter sehr unterschiedlich in den lateinischen Satz eingestellt werden. Gewiss leistet die Sprachkompetenz des native speaker vieles davon gewissermaßen automatisch. Geleistet werden muss es dennoch. Die Abtrennbarkeit vieler Präfixe ( vor lesen - ich lese vor ) sowie die Tatsache, dass das Deutsche nur über zwei Tempora verfügt (lese - las) und alle anderen synthetisch bilden muss (werde lesen,
habe/hatte gelesen, werde gelesen haben), schafft (nicht zuletzt im Passiv) durchaus Probleme. Zudem fallen Prüfungstexte wohl höchst selten so harmlos aus wie die obigen Paradigmata.
Hieraus folgert die Methode: Jede in Gedanken vollzogene Verlegung eines lateinischen Wortes oder Wortbestandteils, die es/er beim Übersetzen von seinem Platz im lateinischen Satz an den entsprechenden im deutschen Satz erfährt, wird gezählt und gewichtet; z.B.
Hoc non intellego. | Das verstehe ich nicht . |
[Das ich nicht verstehe.] | |
Verschiebung um einen Platz: 1 GE (Gewichtungseinheit) |
quod fere cotidianis proeliis cum Germanis contendunt | Weil sie in fast täglichen G. mit den Germ. kämpfen |
[Weil fast {in} täglichen G. mit den Germ. sie kämpfen.] | |
Verschiebung um sechs Plätze: 6 GE |
Aus den für die einzelnen Wortverlagerungen gewonnenen Zahlen wird eine Summe gebildet, die in die Schlussabrechnung eingeht.
zu c) Wortergänzungen:
Am häufigsten ist die Notwendigkeit einer Wortergänzung durch die Artikellosigkeit des Lateinischen veranlasst. Von einer numerischen Berücksichtigung dieser Fälle wird jedoch abgesehen. Die nächsthäufige Gruppe stellen Personalpronomina, die in den Signalteil des lateinischen Wortes integriert sind, im Deutschen aber regelmäßig als eigenes Wort erscheinen. Auch sie bleiben in unserem Zusammenhang unberücksichtigt, solange sie unmittelbar vor oder hinter ihrem Verbum stehen:
intellegimus / Hoc intellegimus | wir verstehen / Das verstehen wir | 0 GE | |
aber: | |||
Si haec omnia intellegere mus ... | Wenn wir das alles verstünden ... | 2 GE |
Die dritthäufigste Gruppe ergibt sich aus dem Fehlen des Ablativs im Deutschen. Er muss meistens durch Präpositionen wiedergeben werden:
fere cotidianis proeliis | in fast täglichen Kämpfen (fast täglich in Gefechten...) | 1 GE |
3. Praxis
Aufschreiben des Textes
Ich schreibe den zu analysierenden Text grundsätzlich in senkrechten Kolonnen satzweise auf, möglichst mit Leerzeilen zwischen den Kola. Hierbei betrachte ich Enklitika wie -que' oder -cum' (z.B. in quibus-cum ) als eigenständige Wörter, da sie ja auch gesondert übersetzt werden müssen. Sodann zähle ich die Wörter satzweise und stelle die Textlänge fest. Die ungewohnte Art des Aufschreibens, die den Text aus dem Prokrustesbett des Satzspiegels befreit, zwingt dazu, jedes Wort wirklich in die Hand zu nehmen'. Dabei wird der Satzleib' visualisiert. Zudem entsteht der für das Eintragen von Analyse-Beobachtungen benötigte Platz. [Es käme auf einen Versuch an, ob Schüler sich mit senkrecht angeordneten Prüfungstexten nicht leichter täten.]
Notieren der Beobachtungen
Ich notiere auf dem Textblatt mittels Pfeilen oder Kästchen vier Kategorien von Indikatoren:
A: | abweichende Wortstellung von Verben und Nominalformen des Verbs. |
B: | alle anderen auffallenden Wortstellungen. Meist betrifft das alte Bekannte wie non , quoque, fere . |
[Die Trennung nach A' und B' erfolgt aus Gründen der Raumökonomie: A' wird links neben der Satzkolumne notiert, B' rechts davon; s.u.].
C: | die sog. Syntaktischen Erscheinungen (Das sind Friedrich Maiers SE'), also Phänomene der höheren Syntax. Ich erweitere diese um die sog. prädikativen Verhältnisse (z.B. Cicero als Konsul). |
D: | die nicht zu unterschätzenden weiteren Indikatoren', wozu ich v.a. notwendige Ergänzungen (z.B. Präpositionen) rechne, aber auch überlange oder komplizierte Sätze und die Oratio obliqua. |
Gewichtung der Indikatoren
Jede Notiz auf dem Textblatt (Analyseblatt) erfolgt in Gewichtungseinheiten' ( GE ). Es empfiehlt sich, neben dem Analyseblatt ein Protokollblatt anzulegen, auf dem die unterschiedlichen Notizen in eine übersichtliche Ordnung gebracht werden. Diese Mühe lohnt sich mit Sicherheit! Die Gewichtungseinheiten sind anhand des EVA'-Prinzips festgelegt. Je mehr Denkschritte bis zur Lösung notwendig sind, desto höher die Gewichtung. Der Maximalwert ist 4 GE. Zwischenwerte sind nicht vorgesehen; doch kann in einigen Fällen zwischen zwei Werten gewählt werden. Bei unmittelbarem Aufeinanderfolgen gleicher syntaktischer Erscheinungen wird man z.B. für den ersten AcI die höhere Gewichtung wählen, für den nahe darauf folgenden die niedrigere, da ja das Erkennen' in einem solchen Fall erleichtert ist.
Wortstellung (Indikator A und B)
- von Verben und Nominalformen des Verbs, sowie
- von Nicht-Verben: Jedes (nach vorwärts oder rückwärts) übersprungene Wort zählt 1 GE
Man geht dabei so vor, dass man die untereinander stehenden Wörter der gedruckten Reihenfolge nach übersetzt, aber, sobald ein Wort von weiter unten benötigt wird, dieses nach oben holt. Die betreffenden Umstellungen werden durch gepfeilte Bögen ins Analyseblatt eingezeichnet und mit einer Ziffer versehen, die der Zahl der übersprungenen Zeilen entspricht. Damit die Umstellungen kein übermäßiges Gewicht erhalten, wird ihre Summe in der Endabrechnung halbiert. Dadurch wird der andernfalls notwendige Umgang mit halben GE vermieden.
Bei der Gewichtung der Phänomene darf man sich nicht zur Milde verleiten lassen. Sie würde den Prüfling schädigen, weil sie den wahren Schwierigkeitsgrad des Textes verschleiert.
Syntax (Indikator C)
Indirekter Fragesatz (IF) | 1 GE |
Relativer Satzanschluss (RSA) | 2 GE |
Relativsatz (RS) | 1 GE |
Subjunktionalsatz (SS) | 1 GE |
Subjektsinfinitiv (SI) | 1 GE |
Objektsinfinitiv (OI) | 1 GE |
Infinitiv bei iubere, vetare etc. | 1-2 GE |
AcI | 3-4 GE |
NcI | 3 GE |
Partizip: attr., präd., subst. (Pz) | 1 GE |
Participium coniunctum (PC) | 3-4 GE |
Ablativus absolutus (AA) | 4 GE |
Gerundium (Gdm) | 2-3 GE |
Gerundivum V/N (Gdv) | 2-3 GE |
Supinum (Sup) | 2 GE |
prädikatives Verhältnis (PV) | 1-2 GE |
Es ist zweckmäßig, die SE der Gruppe C' auf dem Analyseblatt in Kästchen zu setzen. Sie heben sich noch deutlicher heraus, wenn man die Kästchen mit Farbmarker ausfüllt.
Weitere Indikatoren (Indikator D)
Ergänzungen: | ||
Ellipse ( est, sunt, esse ) | 1 GE | |
ergänzte Präposition | 1 GE | |
ergänzter Artikel | 0 GE | |
Besonderheiten von Wörtern: | ||
Homonym | 1 GE | |
seltenere Wortformen | 1 GE | |
Besonderheiten von Sätzen: | ||
längerer Satz (LS): | ab 26 W. | +1 GE |
ab 36 W. | +2 GE | |
Gliedsatz ab 4. Grad | +1 GE | |
Periode komplizierterer Art | +2-3 GE | |
Oratio obliqua: | je Kolon | +1-2 GE |
Besondere Modi: | ||
Potentialis | +1 GE |
Protokollieren der Befunde
Wenn die Analyse des Textes abgeschlossen ist, überträgt man die einzelnen Beobachtungen in ein Protokollblatt. Dieser bürokratisch anmutenden Empfehlung sollte man folgen. Auf diese Weise werden die einzelnen Entscheidungen leicht nachprüfbar, sowohl bez. ihrer Vollständigkeit als auch ihrer Einheitlichkeit bei gleichen Phänomenen. Diese Kontrolle wird erleichtert, wenn man jeder eingetragenen Zahl ein Kürzel für das jeweilige Phänomen beifügt. Will man sich einen Thesaurus von Übungsbeispielen anlegen, so wäre es das Tüpfelchen auf dem i', in Klammern ein Stichwort beizugeben, z.B 1 GE ( quin )'.
Berechnung des Schwierigkeitsgrades
Erster Schritt: Man zählt für jede der vier Kategorien (A, B, C, D) die GE-Werte zusammen.
Zweiter Schritt: Man addiert die Werte A + B und teilt sie durch 2.
Dritter Schritt: Man addiert die Werte C + D.
Vierter Schritt: Man bildet die Summe aus den Ergebnissen von Schritt 2 und 3.
Fünfter Schritt: Man addiert zu dem Ergebnis aus dem Schritt 4 die Zahl der lat.Wörter des Textes.
Sechster Schritt: Man dividiert das Ergebnis aus dem Schritt 5 durch die Zahl der lateinischen Wörter.
[Bei Schritt 5 werden Enklitika wie -que mitgezählt, bei Schritt 6 aber nicht.]
Kurzbeispiel (Caesar Gall V 55, 1; s. dazu u. Anwendungsbeispiele)
A | B | C | D | Lat. W. 28; S SE 3 | ||||||||||||||||||
Arbeits-schritte | (1) | 14 | 6 | 9 | 3 | |||||||||||||||||
(2) | 14 | + | 6 | = | 20 | |||||||||||||||||
20 | : | 2 | = | 10 | ||||||||||||||||||
(3) | 9 | + | 3 | = | 12 | |||||||||||||||||
(4) | 10 | + | 12 | = | 22 | |||||||||||||||||
(5) | 22 | + | 28 | = | 50 | |||||||||||||||||
(6) | 50 | : | 28 | = | 1,785 |
Skalieren der Ergebnisse
Was bedeutet nun das Ergebnis 1,785? Diese Frage beantwortet sich, wenn man den Wert in eine Skala stellt, also in Relation zum Schwierigkeitsgrad anderer Texte setzt. Aufgrund der in reicher Zahl vorliegenden Erfahrungen erscheint die folgende Skala gut vertretbar:
Die Skala beginnt bei 1,0. Diesen Schwierigkeitsgrad hätte ein lateinischer Text, der sich im Deutschen 1 : 1 abbilden ließe. Dies erreicht annähernd der Beginn des Vaterunsers: Pater noster, qui es in coelis. Vater unser, der du bist im Himmel. Könnte man ein solchen Schwierigkeitsgrad' in einem Prüfungstext erreichen, wäre der Lateinunterricht wenig sinnvoll, jedenfalls solange man eines seiner Ziele in der Sprachreflexion sieht.
Die Skala ist theoretisch nach oben offen. Für die Praxis der Schule endet sie spätestens bei 2,0. Diesen Schwierigkeitsgrad erreicht ein Text erst bei einer enormen Häufung von Syntaktischen Erscheinungen. Vor einem solchen Experiment kann man nur warnen.
Damit ist der schulrelevante Bereich eingegrenzt. Er liegt äußerstenfalls zwischen 1,200 und 1,800.
Zur Groborientierung sind folgende Stufen nützlich:
1,000 bis 1,200 zu leicht/sehr leicht
1,201 bis 1,400 leicht
1,401 bis 1,600 maßvoll
1,601 bis 1,800 anspruchvoll
1,801 bis 2,000 zunehmend schwieriger
Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Schulaufgaben der Mittelstufe im Bereich zwischen 1,401 bis 1,800 liegen. [Drei Dezimalstellen hinter dem Komma täuschen eine Genauigkeit vor, die von der Methode nicht beansprucht werden kann und will. Sie haben aber den praktischen Wert, dass man bis zur ersten Dezimalstelle gleichschwierige Texte begründet von einander trennen kann. Einer solchen Unterscheidung sollte man aber wenigstens an den Grenzen zwischen der einzelnen Stufen keine übertriebene Bedeutung beimessen: Ein Text mit Schwierigkeitsgrad 1,601 kann nicht wesentlich schwieriger sein als einer mit dem Schwierigkeitsgrad 1,599, auch wenn der eine formal in die Gruppe anspruchsvoll', der andere in die Gruppe maßvoll' zu stellen ist.]
Anwendungsmöglichkeiten
1. In Beschwerdefällen stärkt es die Position des Lehrers, wenn er sich für seine Bewertungen auf ein zwar nicht amtliches, wohl aber veröffentlichtes und bisher unwidersprochen gebliebenes Verfahren berufen kann.
2. Mit der angegebenen Methode kann der Schwierigkeitsgrad der Lektionen von Lehrwerken festgestellt werden. Praktiziert wurde dies bereits im Lehrerband zum CURSUS BREVIS, S.12:
Man erkennt an der Kurve, dass der Schwierigkeitsgrad der 20 Lektionen, wie die Sache es erfordert, tief ansetzt, bald aber stetig ansteigt und in den Lektionen 12, 15, 17 in den anspruchvolleren Bereich hineinreicht, um danach wieder in den Normalbereich abzusinken. Im Besitz solcher Informationen wird der Lehrer die Vorbereitungs- und Übungsnotwendigkeiten für eine Lektion sicherer abschätzen können, als wenn er von den vorkommenden Schwierigkeiten überrascht wird.
3. Es mag noch interessieren, ob die Beurteilung des Caesar 1' durch F.Maier durch Anwendung der hier vorgestellten Methode bestätigt wird. Sie wird bestätigt: Der nach obiger Methode festgestellte Schwierigkeitsgrad ist 2,03; von einer Verwendung des Textes als Prüfungsaufgabe muss abgeraten werden. (9)
1. Kurzbeispiel aus Caesar Gall. V 55, 1 28 lat. Wörter
2. Langbeispiel aus Caesar, Gall. I 1, 1-4 108 (+3) lat. Wörter
S SE 19, Ergebnis: 1,509
Analyseblatt
Protokollblatt
1: cf. Friedrich Maier, Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt, Bd. III, Bamberg: Buchners 1986, 351
2: cf. Friedrich Maier. Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt, Bd. I, Bamberg: Buchners 2 1984, 267 ff.
3: cf. Friedrich Maier (1986), 347
4: cf. Friedrich Maier (1986), 348
5: Friedrich Maier (1986), 350
6: Friedrich Maier (1986), 352
7: Karl Bayer, Zur Bestimmung des Schwierigkeitsgrades lateinischer Prüfungstexte. Anregung 44, 4/1998, 228-241
8: Cursus Brevis, Lehrerband, hrsg. von Gerhard Fink und Friedrich Maier, München: Oldenbourg 2001, 12
9: Friedrich Maier (1986), 352
Dr. Karl Bayer, Sedelhofstr. 8, 81247 München