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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/2 (2004), 1

Barbara Demandt

Reflexionen über die Liebe
Platons Gastmahl in den Bildern von
Anselm Feuerbach

In der Staatlichen Karlsruher Kunsthalle und in der Berliner Alten Nationalgalerie hängen zwei große Bilder von Anselm Feuerbach. Sie tragen jeweils den Titel ‚Das Gastmahl des Plato‘ und haben das Format von 3 m Höhe und 6 m Länge. Die Bilder haben Platons berühmten Dialog über den Eros zum Thema. Wegen dieses philosophischen Hintergrundes, wegen der Kenntnis der Personen und der historischen Ereignisse zur Zeit der Abfassung in Athen, wegen der generellen Vorliebe des Malers für antike Themen, wegen der Übernahme seiner eigenen erotischen Erlebnisse und wegen seiner besonderen malerischen und kompositorischen Elemente erscheinen eine ausführliche Behandlung und ein Vergleich all dieser Zusammenhänge einmal darstellenswert. Sie tiefgründig auszuarbeiten, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

1. Die Liebe als Idee in der literarischen Ebene

(Aus technischen sowie lizenzrechtlichen Gründen können wir das Bild hier leider nicht direkt zeigen oder verlinken. Sie finden es aber unter folgendem Link zum "Bildindex der Kunst und Architektur des Bildarchivs Foto Marburg". Am oberen Bildschirmrand klicken Sie bitte auf Künstler, wählen den Buchstaben "F" und dann "Feuerbach, Anselm" aus. Sie finden das Karlsruher Bild unter Nummer 97, das Bild aus der Berliner Nationalgalerie unter Nummer 116, inclusive weiterer ausführlicher bibliographischer Hinweise zu den beiden Bildern Feuerbachs.)

Betrachtet man zunächst das Karlsruher Bild, so fällt auf, dass auf der rechten Seite mehrere Männer sitzen: nachdenklich, versonnen und vom Geschehen in der linken Bildhälfte völlig unbeeindruckt. Nur einer wendet sich diesem zu, der Gastgeber des Symposions. Ein zweiter auf der Kline hebt bloß den Kopf in Richtung der Eindringlinge.

Die Figuren auf der rechten Seite lassen sich fast alle identifizieren. Platon schreibt dazu, man habe abgemacht, nach dem eigentlichen Gastmahl, mäßig zu trinken, zu philosophieren und im Kreise links herum Beiträge zum Thema Eros zu liefern. Phaidros, der das Thema vorgeschlagen hatte, beginnt auch; er sitzt mit der Hand am Kinn vor dem Pilaster der rechten Wand. Nach ihm spricht Pausanias, ein älterer Grauhaariger zwischen den Säulen sitzend, danach wird Aristophanes wegen seines Schluckaufs zunächst übergangen, statt seiner redet der Arzt Eryximachos, der vor dem Leuchter mit der Aeskulapnatter auf der Kline liegt. Dann erst ist Aristophanes wieder an der Reihe, der hinter dem zweiten Leuchter sitzt. Nach ihm spricht der bekränzte Gastgeber Agathon, ihm folgt der glatzköpfige Sokrates, der Mittelpunkt der Runde. Vor ihm an der Wand steht Aristodemos, der Gewährsmann für dieses Gespräch. All diese benannten Teilnehmer sind von Platon im ‚Dialog‘ namentlich aufgeführt, drei weitere sind jedoch von Feuerbach hinzugefügt.

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Es lassen sich weder der auf der Kline sitzende Alte im blauen Gewand noch der rechts an der Wand fast verdeckte Mann namentlich identifizieren, nur der höchst aufmerksam auf Sokrates sehende Jüngling am rechten Bildende. Es ist der zwölfjährige Platon selbst.

All diese Figuren sind auch auf dem Berliner Bild vorhanden, nur der hinter Platon so verdeckt sitzende Jüngling hat sich erhoben und steht mit ausgestrecktem rechten Arm an der Wand. So gibt er der Personengruppe einen besseren Rahmen. Es ist auffällig, dass Feuerbachs Figuren während dieses Gastmahls nicht auf Klinen liegend dargestellt sind. Das wäre nämlich wegen der schlechten Perspektive in einer Frontalansicht nicht gut darstellbar gewesen, deshalb lässt er seine Figuren bis auf einen sitzen. Mit dem auf der Kline liegenden Arzt im Vordergrund zeigt er aber, dass er den üblichen Ritus eines Gastmahls genau kannte.

Die Anwesenden, alles Freunde oder Schüler des Sokrates, sind geübt im Philosophieren. Sie haben ihre Ideen von der Göttlichkeit des Eros formuliert und sinnen offensichtlich ihrem Gespräch und dem abschließenden Beitrag des Sokrates nach, der mit den Worten der Diotima die Göttlichkeit des Eros leugnete. Dieser sei vielmehr ein ‚Daimon‘, ein Mittler zwischen Göttern und Menschen, der das Zeugen mit Leib und Seele und das Aufziehen und Lehren der Menschen als etwas Unsterbliches erstrebe. Dieses erzeugte Schöne zu schauen, sei das eigentlich Göttliche, das Ziel des Eros.

Diese philosophische Definition der Idee von Liebe ist die erste Ebene des Bildes, die unsichtbare, theoretische, die sich malerisch nicht darstellen lässt. Aber man sollte sie kennen.

2. Die Liebe als Existenz in der historischen Ebene

Auch um das andere Motiv Feuerbachs sollte man wissen, denn es baut auf diesem ersten Hintergrund auf. Die zweite Ebene des Bildes ist die der sichtbaren Wirklichkeit, die real gelebte Liebe. Und die stellt Feuerbach in einer neuen Anordnung der Personen dar, denn es fällt auf, dass die zuerst angegebene Reihenfolge des Redens ‚linksherum‘ nicht eingehalten wurde. Der Maler hatte nämlich zuvor die Lebensläufe all dieser Männer erforscht und sie deshalb nicht in der angegebenen Gesprächsfolge, sondern in ihren homosexuellen Liebes- oder Lebensbeziehungen zusammengestellt: Der Kerameer Pausanias und der Athener Agathon waren ein in Athen viel Aufsehen erregendes Paar, ebenso Eryximachos und Phaidros. Der Jüngling Aristodemos liebte den Sokrates und lebte Jahre lang mit ihm zusammen. Auf Aristophanes blickt der Grauhaarige im blauen Gewand. Der Knabe Platon hat die Hauptperson seines ganzen Lebens fest im Blick: Sokrates.

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Und von diesem schlägt der Maler einen Bogen zum ankommenden Alkibiades, ein von Sokrates stets verzückter, ihn über alle Maßen Liebender.

So legt sich als Hintergrund über das ganze Bild nicht nur die Idee der Liebe in der Theorie, sondern ein Geflecht von unterschiedlichen Liebesbeziehungen in der Praxis. Aus deren Kenntnis heraus hatten diese ausgewiesenen Kenner in Liebesdingen ja erst ihre Ideen formulieren können. Diese Existenz der Liebe mit malerischen Mitteln zu fixieren, war ein Hauptmotiv Feuerbachs.

Eine neue Szene in Platons Dialog, die Ankunft des Alkibiades, nahm der Maler auf, um sie als besten Zeitpunkt seiner gewünschten Dramaturgie der Gegensätze ins Bild zu setzen. Die von uns schon betrachtete rechte Bildseite widmet sich mit ihren stillen Gestalten der tiefsinnigen Meditation, gibt sich der Wissenschaft und Philosophie hin und huldigt somit dem Apollinischen. Unterstrichen von schön abgestuften Farben der unbewegten Gewänder, herrscht in gedämpftem Licht eine ruhige Atmosphäre. Doch plötzlich steht die besinnliche Welt der Gedanken in optischem Gegensatz zur Welt des ungebändigten Daseins.

Laut Platon stürmt lärmend der angetrunkene Alkibiades herein und mit ihm Flötenspielerinnen. Auch hier steigert Feuerbach die Szene. Ein Erote trägt einen Efeukranz herein, ein zweiter spielt Flöte. Eine Tamburinschlägerin ersetzt die Flötistinnen. Vier Frauen, hier als bekränzte Mänaden, begleiten Alkibiades, eine, auf die er sich stützt, eine andere geht hinter ihm, zwei weitere tragen Fackeln. Diese leuchten die Szene hell aus, auf die von links hinten noch weiteres Licht fällt. Jetzt herrschen Schwung, Neigung, Tanz. Arme und Fackeln strecken sich hoch, nackte Leiber drehen sich, Gewänder werfen wilde Falten. Man sieht und hört die Ausgelassenheit des Rausches.

Feuerbach holt ein neues Prinzip ins Bild: das trunkene Dionysische, den überschwänglichen Lebensgenuss, die laute, ausgelassene Vitalität und Aktion. Dies alles von rechts und links richtet sich optisch auf den festlich gekleideten Agathon, der die Ankömmlinge mit ausgestrecktem Arm, in der Hand einen Willkommenstrunk, empfängt. Agathon bildet den Mittelpunkt des Bildes. Auf ihn laufen alle kompositorischen Linien hin, und in ihm, dem Dichter und Tragiker, treffen sich nach Nietzsches Interpretation beide göttlichen Varianten des Lebens, Logos und Pathos.

All diese Hintergründe um Agathon darzustellen, ist die eigentliche Intention Feuerbachs. Dem Maler ist jedoch eine weitere, nachfolgende Handlung nicht mehr wichtig. Für den Philosophen Platon aber war der noch ausstehende philosophische Beweis der Idee vom Eros durchaus notwendig. Deshalb schuf er eine neue Situation. Sie ist ohnehin durch das Eindringen neuer Personen und eines wichtigen Gesprächspartners, eben des Alkibiades, ganz verändert. So entwickelt sich eine ganz neue Szene um den Neuankömmling, der seine heftige Liebe zu Sokrates trotz all seiner vergeblichen Verführungskünste als immer noch lebendig gesteht.

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Ein Geplänkel um Agathon lässt das Gespräch ausklingen. Danach ist allen klar, dass Sokrates ohne körperliches Begehren, allein mit der Seele das Gute im Menschen liebt, eben „platonisch“. Der Dialog endet, als Sokrates schließlich beim Morgengrauen - als einziger wach und nüchtern - nach Hause geht.

Nur der Kenner des Dialogs weiß also um die Fortführung dieser neuen Handlung. Sie spielt für den Maler keine Rolle mehr, denn Gespräche lassen sich schwer darstellen. Ebensowenig ist der für Platon so bedeutende Sokrates, der die eigentliche Aufgabe der Liebe in der Hinwendung zum Guten und Schönen vorlegt und -lebt, hier für Feuerbach wichtig. Er lässt uns den 54 Jahre alten Denker, farblich noch nicht einmal besonders herausgehoben, nur von hinten ansehen.

Die Feuerbach hier so wichtigen Themen Liebe und Leben spiegeln sich auch in den Wandbildern. Auf dem linken Pilaster ist eine Tänzerin, auf dem rechten ein tanzendes Paar abgebildet. Auf der Wand rechts wird die Liebe in der Hochzeit des Dionysos mit Ariadne gepriesen.

3. Die Hauptpersonen

Den Dialog umgeben eine dreifache zeitliche Staffelung sowie eine ebensolche Rahmenhandlung. Platon hat das ‚Gastmahl‘ 385 v.Chr. geschrieben. Er ließ Apollodoros die Gespräche über den Eros kurz vor Sokrates‘ Tod (399 v.Chr.) auf einem Gang von Phaleron nach Athen einem Glaukon und seinen Freunden erzählen, deshalb kann dieser Glaukon gar nicht auf dem Bild dargestellt sein, wie Henriette Feuerbach (s.u.) schreibt. Apollodoros, der zum Zeitpunkt der Erzählung schon seit drei Jahren mit Sokrates zusammenlebte, berief sich bei der Erzählung auf die Wiedergabe der Gespräche durch einen Mittelsmann, den beim Gastmahl anwesenden Aristodemos. Das eigentliche Symposion legte Platon noch einmal weiter zurück ins Jahr 416 v.Chr, aber die damals von Sokrates referierte Meinung der Priesterin Diotima von Mantinea liegt noch viel länger zurück. Es herrscht wahrlich ein labyrinthischer Zugang zum eigentlichen Text.

Feuerbach kannte nicht nur diese Entstehungsgeschichte, sondern auch die einzelnen Personen und den historischen Kontext des Jahres 416 v.Chr. In Athen gab es zwei große Feste zu Ehren des Dionysos im Theater. Das geringere hieß Lenaeen oder Kelterfest. Bei diesem im Januar oder Februar abgehaltenen Fest wurde ein teils lyrischer, teils dramatischer Agon ausgetragen. Der etwa dreißigjährige Agathon hatte bei den Lenaeen von 416 v.Chr. mit seiner ersten von ihm verfassten Tragödie den ersten Preis gewonnen. Keinen von den überlieferten Namen seiner sechs verlorenen Dramen kann man diesem Sieg zuordnen. Die Handlungen hatte er meist frei erfunden, ebenso eine neue Form der Musik eingeführt.

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Zum Sieg gab Agathon natürlich ein großes Fest, ein zweites am Tag darauf, dem Zeitpunkt des platonischen Dialoges.

Mehr über Agathon wissen wir von Aristophanes. Den beim Symposion anwesenden, etwa 32 Jahre alten Komödienschreiber reizte Agathons neumodische Art so, dass er ihn später im Jahr 411 v.Chr. in seiner Komödie Thesmophoriazusen, einer Weibersatire, mitsamt dem Weiberfeind Euripides gewaltig verspottete. Der junge Tragiker Agathon galt ihm als ein ausgesprochener Schönling, als reicher Snob und feiner Weltmann mit weibischem Gehabe, der sich sogar täglich rasierte und nur in gestelzter Rede pikant sprechen und in hohlen Worten nach der Art seines Lehrers Gorgias so gespreizt tönen konnte, dass sogar seine Sklaven auch so gezirkelt redeten. Seinem effeminierten Charakter entsprechend hätte dieser Schönredner () auch eine neue Melodik in die Musik eingeführt, denn seine Lieder klängen weich, süßlich und geschnörkelt. Ja, seine feine Kunst des zärtlichen Flötenspiels heiße in ganz Griechenland schon sprichwörtlich . Auch Aristoteles bemerkte, dass Agathons Chorgesänge bloße Einlagen meist in chromatischer Tonart waren und nicht mehr zur Handlung der oft aufgeführten Tragödien gehörten. Diese schätzte er jedoch so hoch, dass er ihren Verfasser neben die drei großen Klassiker stellte und ihn zum einflussreichsten Vertreter der tragischen Kunst des 5. Jahrhunderts zählte.

Auf Einladung des makedonischen Königs Archelaos, der 413 v.Chr. unrechtmäßig durch Mord an seinem Halbbruder zur Macht gekommen war und nun seine Residenz mit Geist und Kunst aus Athen schmücken wollte, ging Agathon mit seinem Freund Pausanias gegen 407 v.Chr. an dessen Hof in Pella. Dort traf er auch auf Euripides, mit dem er schon auf der Bühne zu tun hatte (s.o.). Als der König 399 v.Chr. auf der Jagd von seinem Liebling Krataios unabsichtlich getötet wurde, war Agathon schon kurz vorher gestorben. Feuerbach kannte all diese Vorwürfe gegen Agathon; und ein Wissender sieht in der Darstellung des Tragikers, aber noch mehr hervorgehoben in dessen vergoldetem Habitus im Berliner Gemälde seinen Charakter treffend dargestellt: ohne Anteilnahme, den Blick ins Leere gerichtet steht der elegante Sieger und Gastgeber emotions- und beziehungslos da.

Alkibiades ist die zweite Hauptfigur in Feuerbachs Gemälde. Der 450 v.Chr. geborene hochbegabte Neffe des Perikles führte das bewegte Leben eines leichtfertigen Politikers und das leichtfüßige eines intellektuellen Dandys. Er stand 416 v.Chr. mit seinen 34 Jahren auf dem Höhepunkt seines Lebens, dazu krönte ein glänzender Sieg im Pferderennen bei den Olympischen Spielen seinen maßlosen Ehrgeiz. Ein Jahr zuvor war er Stratege in Athen geworden. Als selbstsüchtiger Feldherr überzeugte er die Bürger zwei Jahre später (415 v.Chr.) mitten im Peloponnesischen Krieg (431- 404 v.Chr.) von der Notwendigkeit einer militärischen Expedition gegen Syrakus. Als in der Nacht vor der Ausfahrt „der Eros über Athen kam“ (so Thukydides) und fast alle Hermen durch brutale Schläge ihre Männlichkeit verloren, lastete man ihm (wohl zu Unrecht) diese Pudifizierung als Frevel gegen die Götter an,

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rief ihn von seinem Kommando ab und verurteilte ihn zum Tode in absentia, denn er war der Vollstreckung durch Flucht zum athenischen Kriegsgegner Sparta zuvorgekommen. Während seine gescheiterten Landsleute in den Latomien von Syrakus sich zu Tode schufteten, konnte seine geniale und Menschen gewinnende Art die Spartaner überzeugen, nun seinen Ratschlägen gegen die Athener zu folgen. Aber sein leichtsinniges Ränke- und Gauklerspiel, der unstete Wechsel zwischen allen politischen Fronten führte schließlich 404 v.Chr. in Persien zu seiner Ermordung - auf Betreiben Spartas. Dort im Museum zeigt man heute auf einem Mosaik einen wild verwegenen Alkibiades. In dieser Kenntnis hat Feuerbach einen schönen, leichtfahrig trunkenen Mann die Treppen hinunter schweben lassen, der, von einer Mänade gestützt und leicht um die Hüften gefasst, in ausgelassenen Gesten und künstlich gedrehter Haltung gerade noch mit tänzelndem Hüftschwung fähig ist, nicht sogleich splitternackt vor dem vornehmen Gastgeber zu stehen.

4. Feuerbachs Leben

Weitere Bildinhalte sind mit des Malers eigener Biographie verwoben und lassen sich nur aus ihr heraus darlegen.

Am 12. September 1829 wurde Anselm Feuerbach in Speyer geboren. Er war das zweite Kind seiner Eltern. Doch die Mutter Amalie starb ein Jahr nach seiner Geburt an Schwindsucht. Die beiden Kinder Emilie und Anselm kamen zu den Großeltern. Der Vater Joseph Anselm (1798-1851) stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Er war der erste von fünf Söhnen des Begründers des deutschen Strafrechtes, des Paul Johann Anselm Feuerbach, der nicht nur den Grundsatz nulla poena sine lege aufgestellt, sondern auch den Kaspar-Hauser-Fall behandelt hatte. Zusammen mit den anderen vier Söhnen, dem Mathematiker Karl Wilhelm, dem Rechtsgelehrten Eduard August, dem Philosophen Ludwig und dem Orientalisten und Philosophen Friedrich gehörten alle zur geistigen Elite Deutschlands im 19. Jahrhundert. Ehrgeiz und Ruhmsucht trieben die vielseitig Begabten jedoch an. Ihr hohes Selbstbewusstsein vermittelten sie in einer oft bedrückenden Erwartungshaltung auch ihren Familien.

Diesem enormen Erfolgsdruck waren nicht alle gewachsen, besonders der Erstgeborene Joseph Anselm nicht. Er hatte Alte Sprachen, Archäologie und Kunstgeschichte studiert, am Gymnasium in Speyer unterrichtet und war schließlich mit einer Arbeit über den Apollo von Belvedere zum Professor in Freiburg ernannt worden. Doch die mit Elitebewusstsein einhergehende Egozentrik, die daraus resultierende Eitelkeit und Unnahbarkeit, der Streit mit den Kollegen und das trotzdem bedrückende Gefühl, übersehen und neidisch missachtet zu werden, führten schließlich zu hochgradiger Empfindlichkeit, zu melancholischen Depressionen und zu einem frühen Tod. Der überaus begabte Sohn Anselm besaß all diese Eigenschaften seines Vaters, aber auch dessen Arbeitsintensität und seine hohe klassische Bildung.

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Der verwitwete Vater hatte 1834 die gebildete Pfarrerstochter Henriette Heydenreich (1812-1892) geheiratet. Sie wurde für den kleinen Stiefsohn wie später für den erwachsenen, unverheirateten Mann die einzige, innige Bezugsperson seines Lebens. Sie unterstützte ihn mit allen zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln (auch zu Ungunsten seiner Schwester), verstand ihn trostreich in allen schwierigen Seelenlagen, kümmerte sich um den Verkauf seiner Bilder, betreute nach seinem frühen Tod sein Œuvre und half, seinen Nachruhm aufzubauen.

Als Sechzehnjähriger hatte Anselm 1845 das Gymnasium verlassen. Er wollte Maler werden und fand Aufnahme in der Düsseldorfer Akademie. Der Historienmaler Karl Friedrich Lessing und der Bildnismaler Wilhelm Schadow, der Sohn des Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow, waren seine Lehrer. In der Berliner Alten Nationalgalerie hängen acht Bilder von Lessing und eins von Schadow in den Ausstellungsräumen. Zur eigentlichen Historienmalerei, der im 19. Jahrhundert führenden Bildgattung, fühlte sich Feuerbach nie hingezogen. Deshalb wurde er zu seinem späteren Kummer auch nicht von deren Vertretern gebührend beachtet. Er lernte vielmehr Schadows idealistischen Zug und dessen an Horaz angelehnte Maxime schätzen: ut poesis pictura. Diesem Motto von Poesie in Farbe und Form blieb Feuerbach ein Leben lang treu; allerdings fügte er oft die Wiedergabe einer tiefgründigeren Idee hinzu.

In der Münchner Akademie lernte er zwei Jahre später durch seinen Lehrer Karl Rahl den Zugang zur Renaissance und Antike, die sich in einem neuen Klassizismus auf großer Bildfläche widerspiegeln sollte. Die nächsten Stationen seiner Ausbildung von 1848-1854 hießen Antwerpen und Paris, wo ihn Couture und dessen grande peinture beeindruckten, mehr jedoch die Landschaftsmalerei von Courbet, von dem vier Bilder in der Alten Berliner Nationalgalerie gezeigt werden. Daneben offenbarte sich bald ein anderer charakteristischer Zug Feuerbachs, die Hinwendung zu Gegensätzen in seinen Bildern: zugespitzt in Sinnlichkeit, Erotik, Leidenschaft auf der einen Seite gegenüber Geist, Idee und Imagination, die er vor allem aus der Literatur der Renaissance und der Antike empfing.

Als ihn in Paris Schulden und eine fordernde Geliebte bedrückten, floh er zur Stiefmutter nach Deutschland zurück. Nach einem Jahr Aufenthalt in Karlsruhe erhielt er vom Großherzog von Baden den Auftrag, für die Vorbildersammlung der Karlsruher Akademie Tizians Bilder in Venedig zu kopieren. Mit dem fast gleichaltrigen Dichter Viktor von Scheffel lernte Feuerbach ebenso die Karnevalsfreuden der Stadt kennen. Ihn, dem seit seinem 16. Lebensjahr Zigaretten, Alkohol und seit Paris sexuelle Genüsse willkommen waren, ließen die schlimmen Quecksilber- und Jodkuren von der damals eingefangenen Syphilis nie wieder ganz gesunden.

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Nach einem Aufenthalt in Florenz begeisterte ihn die Renaissance noch mehr. Den Wunschbildern einer geistigen Kultur verbunden, hatte er sich zunächst der Darstellung des Hafis, Aretino und Dante zugewandt. Seit 1856 wohnte er in Rom, wo er der Geldsorgen wegen kleinere Bilder schuf, ehe der große Wandel kam. Denn eines Tages im Frühjahr 1860 sah er in Begleitung seines Freundes, des Kupferstechers Julius Allgeyer, an einem Fenster in der Via Tritone eine junge Frau stehen mit einem Kind auf dem Arm, eine Gestalt von imponierender Hoheit wie eine edle Figur Raffaels: Anna Risi, die ansehnliche Ehefrau eines rohen Schusters. Zwar hatten schon andere Maler wie Frederic Leighton 1859 Anna porträtiert, aber für Feuerbach war sie die Offenbarung schlechthin. Die Begegnung mit dieser strengen römischen Schönheit mit den fülligen, dunklen Haaren veränderte sein Leben und seine Kunst. Die hinfort Nanna Genannte glich genau seinem Schönheitsideal, wurde sein Modell und seine Geliebte, seine Muse des künstlerischen Durchbruchs. Geradezu in faszinierter Obsession fertigte er in den nächsten sechs Jahren von ihr 28 meisterliche Portraits. Der stets fein abgestufte Farbensinn fällt angenehm auf. Doch verwundern die kühle Morbidität, die stets gesenkten Augen und der melancholische Blick der so oft Dargestellten. Sie wurde für seine Kunst unentbehrlich und zugleich Inspiration für ein neues, großes Thema: die Frau als einsame, wissende, aber stumme Dulderin, als innerlich zerrissenes Opfer männlicher Untaten, in lähmender Ohnmacht großer, widerstrebender Gefühle. Diese tragischen Figuren nahm er aus der Renaissance und Antike: Bianca Capello aus Florenz, Francesca von Rimini, Julia aus Verona, Eurydike, Iphigenie und Medea. Sie alle tragen Nannas wehmütige Züge. Ihr Gesicht ist auch auf Aktbildern, beim ‚Urteil des Paris‘ und in ‚Platos Gastmahl‘ wiederzufinden, immer mit demselben gesenkten Blick in Melancholie.

Feuerbach hatte durch Nanna Risi den Zenit seines malerischen und kompositorischen Könnens erreicht. Seine Meisterschaft beruhte auf der Darstellung schicksalsträchtiger Frauen vor einer großartigen Landschaftskulisse, die all die Gefühle oder das Wissen um ihr Leben unterstützte. Feuerbachs neues Können war zuerst sichtbar im Bild der ‚Iphigenie‘, das er selbst immer als sein Lieblingsbild bezeichnete. Diese großformatigen Bilder, in denen man die Gaben seiner Lehrer harmonisch vereint wiedererkennt, verschafften ihm in den folgenden Jahren doch eine gewisse Anerkennung. Denn eigentlich konnte man in den Gemälden auch eine Art Historienmalerei auf einer klassischen Ebene erkennen.

Feuerbach hat jedoch erst später oder vielleicht nie erkannt, dass er sich eigentlich damals seine drei Lebenswünsche erfüllt hatte: Ruhm, Unsterblichkeit und der „Besitz eines edlen Weibes“ (Feuerbach). Doch seine Egozentrik, sein mangelndes Einfühlungsvermögen in andere Menschen und sein hochfahrendes Wesen zerstörten sein Glück.

Er behängte Nanna mit Schmuck und teuren Kleidern, fuhr sie in einer vierspännigen Kutsche spazieren und ließ dadurch diese einfache,

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aus Trastevere stammende Frau sich immer mehr ihrer Schönheit als einer Macht bewusst werden. Ihren aufkommenden Stolz brach er durch maßlose Eifersucht. Reizbar und abweisend gegen jedermann, wollte er sie nur für sich behalten, nahm ihr trotz häufigen Streites jede Freiheit und sperrte sie in einen goldenen Käfig. Kein Wunder, dass statt Glück und Frohsinn nur Wehmut und Sehnsucht in ihren Portraits zu spüren sind. Als er Ende des Jahres 1865 von einer Reise zurückkehrte, war sie mit einem reichen Engländer geflohen. Dieser Schlag traf Feuerbach völlig unerwartet, seine Eitelkeit war zutiefst gekränkt, sein Pinsel wie gelähmt. Zwar fand er bald als Modell eine Nanna gleichende Nachfolgerin in der sanften Gastwirtin Lucia Brunacci, aber die Geliebte war dahin und seine Inspiration gebrochen.

Als ihn drei Jahre später Nanna Risi auf der Straße in traurigstem Zustand flehentlich anbettelte, fertigte er sie stumm mit einer verachtenden Handbewegung ab und schrieb seiner Stiefmutter: „So wird es bald allen gehen, die sich an meinem Genius versündigt haben.“ Damit hatte er seine eigene tragische Frauenfigur geschaffen, aber nicht gefühlt, dass er zugleich seine eigentliche Muse vertrieben hatte. Anna Risis weiteren Lebensweg kann man ein Stück weit an den Porträts anderer Künstler verfolgen. Albert Hertel, seit 1863 in Rom und von Feuerbach beeinflusst, hat 1866 eine schöne Studie von ihr geschaffen. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe hängt eine Rückenansicht von Nanna, gemalt von Ferdinand Keller, der so ihre prächtigen, hochgesteckten Flechten 1869 wiedergeben konnte. Im selben Museum hängt ein Porträt von Nanna in Dreiviertelansicht, von Nathanel Schmitt 1874 geschaffen. So scheint sie über das Zusammenleben mit Feuerbach hinaus in Rom doch noch als Modell geschätzt worden zu sein, von Feuerbach zwar verstoßen, aber durch ihn überall anderen Malern bekannt gemacht.

Feuerbach galt sich selbst bis zu seinem Tode immer wieder als gern gespiegeltes Objekt, als Schauspieler seiner Selbsterforschung. Die Zahl seiner narzisstischen Selbstporträts erreicht fast die 30. Selbstbewusst und bedeutend, mit kühnem, hochmütigem Profil, oft in der Hand eine Zigarette, stellte sich der relativ kleine Mann in seiner Selbstinszenierung als eine hohe, bedeutende Persönlichkeit dar.

Leider beschränkte sich sein weiteres Können hinfort darauf, seine berühmten Bilder mit geringen Abwandlungen zu kopieren. Neue Themen, die er von 1873 an aufgriff, als er in der Wiener Akademie eine Dozentur erhielt, gelangen ihm nicht mehr. Die ‚Amazonenschlacht‘ und der ‚Titanensturz‘ gleichen seinen eigenen missglückten Kämpfen gegen das unaufhaltsame Absinken. Nach drei Jahren legte er die Lehrtätigkeit resigniert nieder. Die letzten Jahre verbrachte er in Venedig in verstiegenen Hoffnungen und in tiefer Depression, einsam und verzweifelt. Am 4. Januar 1880 traf den Fünfzigjährigen im Hotel Luna ein Herzschlag im Schlaf.

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5. Die beiden Bilder des Gastmahls

a. die erste Fassung in Karlsruhe

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Nach einem Vortrag über den platonischen Dialog 1857 in Heidelberg beschäftigte sich Feuerbach immer wieder gedanklich mit der Gestaltung von Platos Gastmahl. Vorbilder früherer Künstler, auf die er sich hätte berufen können, gab es wenige: 1648 hatten Pietro Testa, 1791 und 1793 Asmus Jakob Carstens und 1849 Eduard Bendemann das Thema schon einmal aufgegriffen, aber ihm nur wenige Anregungen gegeben. Feuerbach sammelte darum eifrig Gestalten aus dem Leben, der Kunst und der Antike, bis sich alles zur Komposition zusammenfügen ließ.

Reminiszenzen eines Besuches in Pompeji sind die Tänzerin und das freudige Paar an den Pilastern. In Stabiae kopierte Feuerbach die Tamburinspielerin. Sokrates ist ein alter, unbekannter Maler, den er in einer römischen Taverne im Licht einer Öllampe skizzierte. Aristodemos‘ Haltung hat er einer Pudicitia-Statue entnommen. Der im Ostfries des Parthenon sitzende Ares gab die Anregung für den Pausanias. Alkibiades und sein Gefolge sah er in vielen Dionysoszügen auf Sarkophagen. Agathon gestaltete Feuerbach als Melange aus dem nachdenklichen Antinoos im Relief der Villa Albani und dem ihm seit der Kindheit vertrauten Apoll von Belvedere. Man erkennt aber auch in Agathons Gesicht Feuerbachs ideales Selbstporträt, denn eigentlich entspricht dieser schöne und berühmte Dichter Athens der Wunschvorstellung des Malers von seinem eigenen Aussehen und seiner Bedeutung.

Etwa 1864 hatte Feuerbach die ersten Skizzen zusammengestellt und alle mit Aquarell- und Deckfarben über schwarzer Kreide mehrfach skizziert. Fünf Jahre lang wuchs das Bild. Vor einer bildparallelen Architektur zerlegte er die Handlung in zwei gegensätzliche Gruppen. Die Beleuchtung kam vorwiegend von links, auf der rechten Seite von oben aus zwei Leuchtern. Das Bild harmonierte in abgewogener, aber blasser Farbgebung, denn an pompejanische Fresken sollte der kreidig kalte Farbton bewusst erinnern. 1869 war das riesige Gemälde fertig und wurde auf der Münchner Kunstausstellung gezeigt. - Die Kritik war vernichtend.

Die Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts nahmen oft den Mund sehr voll und liebten den scharf formulierten Affront: Eine flüchtige, lieblose Ausführung wollte man sogleich an dem Bild bemerken. Zudem sei es wie alle Gemälde Feuerbachs nicht fertig gemalt. Andere störten die mit Grau gemischte Farbigkeit und der asketische Ton. Naturalismus und Manierismus warf man ihm vor. Aus Berlin schimpfte der Kritiker Schasler das Bild eine Satire auf die Antikomanie.

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Völlig vernichtend klang schließlich das Urteil über Feuerbachs fünfjähriges Bemühen: „Ein Stück Eismeer, das sich ungebeten in einen Parfümladen drängt!“ Tief gekränkt war der eitle Mann. Er fühlte sich wie schon oft vom deutschen Kunstbetrieb unverstanden und bewusst missachtet.

Hatte Feuerbach auf einen Kauf seines Bildes durch seine großzügigen Mäzene gehofft, so sah er sich auch hierin getrogen. Der reiche Baron Schack aus München fand den geforderten Preis zu hoch; das großformatige Bild konnte er nicht in seiner Villa aufhängen. Auch der seinem Landsmann oft hilfreiche Großherzog von Baden wollte es nicht für die Karlsruher Kunsthalle erwerben. Schließlich kaufte es für 30 000 Mark Marie Röhrs, eine Malerin aus Hannover. Sie hängte das Bild mit ihren antiken Lieblingsfiguren in Erinnerung an ihr Leben in Rom in ihr Wohnzimmer und entzog es damit der öffentlichen Betrachtung und Beachtung. Erst ihre Erben verkauften es 1890 an die Karlsruher Kunsthalle für 46 000 Mark, ein Zeichen, dass sich die Wertschätzung des Bildes nach zwanzig Jahren doch gesteigert hatte. Sie stieg noch mehr (s.u.), so dass es heute in einem großen Saal hängt, gut beleuchtet und in ebener Sicht zu betrachten.


b. Die zweite Fassung in Berlin

(Aus technischen sowie lizenzrechtlichen Gründen können wir das Bild hier leider nicht direkt zeigen oder verlinken. Sie finden es aber unter folgendem Link zum "Bildindex der Kunst und Architektur des Bildarchivs Foto Marburg". Am oberen Bildschirmrand klicken Sie bitte auf Künstler, wählen den Buchstaben "F" und dann "Feuerbach, Anselm" aus. Sie finden das Karlsruher Bild unter Nummer 97, das Bild aus der Berliner Nationalgalerie unter Nummer 116, inclusive weiterer ausführlicher bibliographischer Hinweise zu den beiden Bildern Feuerbachs.)

In Kenntnis der vielen Kritikpunkte und im Bewusstsein, dass sein Bild im Privatbesitz verschwunden war, begab sich Feuerbach im Dezember 1870 an eine zweite Fassung.

Zuerst wollte er Platons komplizierte Rahmenhandlung aufnehmen. Für einen breiten und prächtigen Bildrahmen trieb er ein Jahr lang umfangreiche Naturstudien an Blumen sowie Früchten und komponierte aus diesen Festons, die an Bukranien von Stieren und Widdern, Symbolen des Opferkultes, auf leuchtendem Goldgrund hängen. Oben in jeder Ecke künden eine Lyra von Apollo, unten eine Schnecke und eine Muschel von Aphrodite und in der Mitte eine Theatermaske von Dionysos. Darüber schweben bunte Schmetterlinge als antike Seelensymbole. Doch Weintrauben, Ölzweige und Weinreben, dionysische Zeichen, hängen von oben aus dem Rahmen ins Bild hinein als Anspielung auf den trunkenen Alkibiades. Über den inneren Rahmenabschluss, einen hochplastisch gemalten Eierstab, hebt sich links unten eine Rose, und rechts unten hängt aus dem Bild heraus ein drapiertes grünes Tuch bis auf den äußeren Perlstab. So ist das Bild mit dem illusionistischen Rahmen verknüpft wie im Dialog. Eine bewusste Theatralik, einer Bühne gleich, wird dadurch geschaffen.

Feuerbach lobte den Nutzen der Photographie, so konnte er sein Bild besser kopieren, aber auch entscheidend verändern:

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Der Innenraum ist enger geworden, die Rückfront rückt näher heran, nur noch drei Stufen führen in den Raum. Zahlreich sind die Neuerungen: Das Interieur ist wesentlich geschmückter und sehr fein ausgearbeitet, die Möbel und Lampen tragen mehr Verzierungen, die Säulen stehen auf hohen Podesten und tragen Kompositkapitelle. Auch der Ausblick hat sich geändert, in der Ferne steht noch die Stoa im Grünen, aber vorn ist jetzt eine Säulen tragende Loggia zu sehen. Die Wände sind architektonisch sehr abwechslungsreich, die Fresken sind verschwunden. Die Tänzerin ist als flaches Relief auf den Sockel der linken Säule gewandert. Anstatt der Hochzeit des Dionysos balgen sich Eroten in einem kostbar gerahmten Bild an der rechten Wand. Über Agathon hängt eine Lampe, dafür steht auf dem Tisch nur noch ein einziger Leuchter. Vor der Kline befinden sich jetzt eine höhere Vase und eine fein reliefierte Wanne. Auch die Personengruppen zeigen sich anders. Rechts hat sich der letzte Unbekannte erhoben und legt den Arm auf das Gesims. Aristophanes argumentiert mit Redegestus zu Sokrates hin, Aristodemos‘ Gesicht ist nicht mehr beschattet. Alle Gesichter sind prägnanter gestaltet, dafür sind die Farben der Gewänder weitgehend eingeschwärzt. Ein ernsthafterer Gegensatz zur farben- und bewegungsfreudigen linken Gruppe wird angestrebt.

In Karlsruhe kamen zwei Eroten und sechs Erwachsene herein, jetzt ist ein weiterer Erote aufgetaucht. Zwei von ihnen bringen herrliche Blumengirlanden bis zu Agathon hin und verbinden damit beide Gruppen, der dritte spielt weiter auf seiner Flöte. Die letzte Fackelträgerin ist gegen einen Mohren ausgewechselt, die erste lässt nun ihr ganzes Gesicht erkennen. Bei Platon ist nur Alkibiades bekränzt, bei Feuerbach sind es alle außer dem Mohren. Alle Personen bis auf Agathon haben die Farben ihrer Gewänder ausgetauscht. Das Pantherfell um die Hüften der Tamburinspielerin huldigt zusätzlich dem durch die Mänaden und die hereinhängenden Trauben hervorgehobenen Gott Dionysos und dessen Lebensmacht.

Golden ist der im ganzen Bild neue und dominante Farbton, auffällig sichtbar bei Agathon. Sein Kranz, sein Becher und sein Gewand sind vergoldet. Die Mänade trägt jetzt einen goldenen Armreifen und ein ebensolches Busenband. Der Mohr hat einen goldenen Ohrring und Alkibiades ein goldenes Haarband. Die linke Wand hat goldenen Reliefschmuck, die rechte eine vergoldete Nische. Auch die Vase und die Wanne schimmern golden. Der Rahmen prangt in Gold und zieht den Betrachter genauso an wie das Geschehen im Bild. Alles leuchtet vom Gold gespiegelt in helleren, satten Farben. Der kreidig graue Farbton der pompeianischen Fresken ist dem schwülstigen Zeitgeschmack der Gründerzeit zuliebe getilgt. Bezüge zu Makarts Neobarock sind offensichtlich und wohl auch gesucht.

Völlig neu ist die Figur an der rechten Wand. Aus einer Rundbogennische schwebt eine bronzene Victoria auf einer Weltkugel mit einem goldenen Siegeskranz herbei. Sie gleicht der 1841 aus Italien erworbenen Victoria von Calvatone, die sich in Berlin befand und der man eine augenfällige Anspielung auf den Sieg über Frankreich und eine Huldigung auf die deutsche Reichseinheit 1871 entnehmen konnte. Hoffentlich verstand man in Berlin diese Hommage.

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Außerdem auffällig sind dem Kenner des Feuerbachschen Werkes dessen Selbstzitate. Agathon hat des Malers Gesichtszüge, Nanna Risi blickt uns mehrfach an, auch als Rückenansicht der Tamburinspielerin, eines Bildes von 1862. Die Hochzeit des Dionysos mit Ariadne, eine Zeichnung von 1864, war schon seitenverkehrt in der Karlsruher Fassung zitiert. Auf dem Vasenbild sitzt Iphigenie in ihrer ersten Fassung, auf der Wanne tobt die Amazonenschlacht, und in den Girlanden stecken die Rosen von zwei großen Gemälden in Speyer. Die Selbstliebe und der Stolz des Malers auf Geleistetes sind nicht zu übersehen.

1873 war die zweite Fassung des ‚Gastmahls‘ beendet. Er gab ihm den griechischen Titel "", wie auf dem Schädel des Stieres unten in der Mitte des Rahmens zu lesen ist. Feuerbach stellte das Gemälde zusammen mit der ‚Amazonenschlacht‘ im Februar 1874 im Wiener Künstlerhaus zuerst aus, danach beide im Kunstsalon von Louis Sachse in Berlin. 45 000 Mark forderte er pro Bild, aber keines der Bilder war in Deutschland verkaufbar, obwohl sie vier Jahre lang überall gezeigt wurden. Die Kritik jedoch, auf deren Proteste hin er diese zweite Fassung ja gemalt hatte, war nun der einhelligen Meinung, nur die erste Fassung des Gastmahls sei ein Meisterwerk. Die ‚Amazonenschlacht‘ aber lehnten die Kritiker als leblos und minderwertig, als einen Fleischhaufen aus zahlreichen nackten Frauen in unzähligen Verrenkungen, aber ohne innere Beteiligung der Kämpferinnen entschieden ab. Es gab jedoch auch Berliner Kunstkenner, die der neuen Darstellung von Wiener Prunk und Dekadenz Anerkennung zollten. Da war u.a. der Berliner Bildhauer Reinhold Begas, der selbst dem Neobarock huldigte, des Lobes voll.

Wahrscheinlich hat Fontane mit seiner Ausführung über Feuerbachs Iphigenie den Punkt getroffen, warum in Deutschland und vor allem in Berlin kein Kaufinteresse bestand. Der Literat hatte einst beim Anblick des Bildes geschrieben: „Diese Iphigenie ist keine Salonfigur; sie ist klassisch und durchaus unmodern, sie ist unsentimental und unberlinisch. Das Moderne steht dem Klassischen gegenüber; das Allermodernste aber, das Unklassischste, was wir kennen, ist das Berlinische.“ Der Kunsttheoretiker und Mäzen Conrad Fiedler hatte die erste Iphigenie, die spätere Darmstädter, gekauft, nachdem Feuerbach 1862 in Berlin die Große Goldmedaille dafür bekommen hatte. Von Feuerbachs Können überzeugt, ergriff schließlich eine Initiative und verwandte sich schließlich bei Jordan, dem Direktor der Berliner Nationalgalerie, für einen Ankauf des ‚Gastmahls‘. Er hatte aber die zweite Fassung noch gar nicht gesehen und war dann später (1878) von ihrem Anblick „eigentlich entsetzt“, so sehr unterschied sie sich von der ersten. Trotzdem beharrte er auf seinem Vorschlag.

Eine besondere Auszeichnung für Feuerbach als Maler kam von Ludwig II. Der König von Bayern verlieh ihm das Ritterkreuz erster Klasse des Michaelsordens,

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eine wichtige Empfehlung auch in Berlin. Als der Berliner Kronprinz Friedrich, selbst ein ausgewiesener Kunstkenner und Mäzen, sogar drei Mal das ausgestellte ‚Gastmahl‘ in der Nationalgalerie angesehen und auch den holländischen König dorthin geführt hatte, waren Jordan und die Landeskunstkommission 1878 zu einem Ankauf bereit. Man bot nur 20 000 Mark mit dem Hinweis auf Stockflecken und Transportbeschädigungen. Feuerbachs Stiefmutter, die immer den Verkauf der Bilder in der Hand hatte, willigte notgedrungen ein und musste noch einen kleinlichen Abzug von 500 Mark für Transport- und Reparaturkosten hinnehmen.


c. Der Umgang mit den Bildern

Dem niedrigen Preis des zweiten ‚Gastmahls‘ entsprach offenbar seine niedrige Wertschätzung. Das Bild wurde im ersten Stock an die Nordwand des Treppenhauses der Nationalgalerie gehängt, obwohl der Maler sich eine ebene Ansicht und vor allem Nähe zum Betrachter gewünscht hatte. Aber unnahbar blieb es dort hängen. Doch ein gewisses Umdenken in Bezug auf die Feuerbachsche Kunst hatte die Nationalgalerie bis zur Jahrhundertausstellung 1906 bewogen, schließlich 14 Bilder seiner Kunst aus Sammlungen zu erwerben und auch den gesamten Nachlass anzunehmen.

Ab 1910 setzte eine Feuerbach-Renaissance ein, zu der die Stiefmutter nicht unerheblich beigetragen hatte, indem sie nach dem Tode des Sohnes dessen Lebenserinnerungen und ausgewählte Briefe als „Ein Vermächtnis“ 1882 herausgab. Das Buch hat zahlreiche Auflagen erlebt und dem Mythos nachgeholfen, Feuerbach sei ein verkanntes Genie gewesen, das von der brutalen Kunstkritik zugrunde gerichtet worden sei. 1929 und 1976 fanden viel beachtete Retrospektiven statt, auch 2002 kamen zahlreiche Besucher zu derjenigen in Speyer.

Inzwischen hat Feuerbach einen ihm gebührenden Platz in der Kunstgeschichte inne. Auf drei Gemälden begründet sich vorwiegend seine Wertschätzung: auf der ersten der drei Fassungen der ‚Iphigenie‘ in Darmstadt, auf der zweiten ‚Medea‘ in München und dem ersten ‚Gastmahl‘ in Karlsruhe. Ferner werden heute seine meisterhaften Portraits der Nanna Risi sowie die drei seiner Stiefmutter geschätzt und seine große Kenntnis der Antike anerkannt. Er gilt deshalb als Vollender des Klassizismus und als Vertreter des Idealismus.

Fatal für Feuerbachs Bilder war der 2. Weltkrieg, eigenartig fatal Hitlers persönliche Begegnung mit den beiden Fassungen des ‚Gastmahls‘. Ausgelagert in den Friedrichshainer Bunker waren für die Dauer des Krieges u.a. die erste Fassung der ‚Medea‘, auch die erste der ‚Amazonenschlacht‘ und das ‚Konzert‘, ein Spätwerk von 1878. Alle drei verbrannten 1945. In diesem Jahr verschwand auch die Teilvariante des ‚Ricordo di Tivoli‘ aus dem Nachlass Fiedler, die bis heute verschollen blieb. Die Verluste sind schmerzlich.

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Tröstlicherweise gibt es eine zweite, bessere ‚Medea‘ in München, eine weitere ‚Amazonenschlacht‘ in Nürnberg, eine Variante des ‚Ricordo di Tivoli‘ in der Berliner Nationalgalerie, aber das ‚Konzert‘ war leider ein Unikat.

1945 holten die Russen die zweite Fassung des ‚Gastmahls‘ mit vielen anderen Beutestücken nach Moskau. Erst 1958 kam das Bild nach Berlin in die wiederaufgebaute Nationalgalerie zurück. Dort hing es im Mittelgeschoss gut sichtbar auf Augenhöhe und präsentierte seine malerischen Qualitäten. So hätte Feuerbach die Aufhängung geschätzt. Doch Mitte der sechziger Jahre füllte man den Platz im Treppenhaus des Obergeschosses mit dem Gemälde, das jetzt nur von einer Balustrade aus über die Treppe hin angesehen werden kann, wenn man es denn beim Aufstieg wahrgenommen und sich oben schließlich nach ihm umgedreht hat. Ein schlechter, dem Bild nicht angemessener Platz. Dort hing früher ein 4x10 m großes, ‚Catarina Cornaro‘ genanntes Bild des Wiener Malers Makart. Hitler gefiel es so sehr, dass er es 1940 ins Führermuseum nach Linz bringen ließ. Von dort kam das Bild nicht mehr zurück zu seinem alten Eigentümer, der Alten Berliner Nationalgalerie, sondern ging nach Wien. Es wäre Feuerbach zwar eine Genugtuung gewesen, seinen ehemaligen Wiener Konkurrenten verdrängt zu haben, aber ein Tort, ein „unnahbarer“ Lückenbüßer der Beutekunst zu sein.

Auch das erste ‚Gastmahl‘ kreuzte den Weg Hitlers. Nach der Fertigstellung der Reichskanzlei im Januar 1939 hatte man das große Bild mit manch anderen berühmten Gemälden, u.a. Böcklins ‚Toteninsel‘, zur würdigen Ausschmückung derselben entgegen allen Protesten aus Karlsruhe nach Berlin beordert. Dem Führer erklärte Kurt Martin, ein kenntnisreicher Mitarbeiter der Staatlichen Kunsthalle, zunächst die Malerei und Komposition, die Hinwendung zur Antike und die Aufnahme von Platons Dialog über die Liebe. Geschickt (und ‚völlig unbeabsichtigt‘) schloss sich daran die Belehrung über die Person des Alkibiades und über dessen im Dialog ausgesprochene Geständnisse seiner Liebesbemühungen gegenüber Sokrates. Als Hitler klar wurde, dass es im Dialog und im Gemälde allein um die Liebe unter Männern ging, weigerte er sich entschieden, solch einen „perversen“ Bildinhalt bei sich in der Reichskanzlei aufhängen zu lassen.

Dieser Widerstand gegen den Nationalsozialismus war gelungen. Der Interpret hatte sein Vorhaben erreicht und wurde später der Karlsruher Museumsdirektor. Das ‚Gastmahl‘ war sofort nach Karlsruhe zurückgegangen und blieb dort über alle Kriegsläufe hin unbeschadet erhalten, während Böcklins ‚Toteninsel‘ aus der Reichskanzlei verschwunden war und erst 1980 wieder auftauchte. Damals konnte die Nationalgalerie das Bild erwerben und der Allgemeinheit wieder sichtbar machen.

Habent sua fata picturae.


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Literaturverzeichnis

Bernadete, Seth: On Plato’s Symposium, Vortrag, Carl Friedrich von Siemens Stiftung 1993
Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbach, ein Vermächtnis, Berlin 1913
Flashar, Martin: Ein ausgebrannter Vulkan. Zum 150. Todestag des Archäologen Joseph Anselm Feuerbach, in: Antike Welt 2001 Heft 6, 660 ff.
Keisch, Claude: Um Anselm Feuerbachs „Gastmahl“, Berlin 1992
Keisch, Claude: Das Gastmahl (nach Plato). Katalog der Nationalgalerie Berlin 2001, 129 ff.
Kupper, Daniel: Anselm Feuerbach, Hamburg 1993
Zimmermann, Werner: Anselm Feuerbach, Gemälde und Zeichnungen, Karlsruhe 1989


Dr. Barbara Demandt, Beerenstraße 28a, 14163 Berlin