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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/3 (2004), 1

Die folgenden beiden Artikel sind dem neuen Buch von Klaus Bartels, "Internet a la Scipio. Neue Streiflichter aus der Antike" (Philipp von Zabern, Mainz 2004, 199-208), entnommen. Es präsentiert eine Sammlung von kurzen Artikeln zu den verschiedensten Themen und Stichworten, die sich alle mit der Antike und ihrem lebendigen Fortleben in der heutigen Zeit beschäftigen.
Die Redaktion dankt dem Verlag Philipp von Zabern für die freundliche Genehmigung, die Texte an dieser Stelle abdrucken zu dürfen.

Klaus Bartels

Internet a la Scipio. Neue Streiflichter aus der Antike


Künstlerlatein im Pantheon

Am 6. April, am Karfreitag des Jahres 1520 ist Raffael Sanzio nach kurzer Krankheit an seinem 37. Geburtstag in Rom gestorben. Seinem Wunsch entsprechend ließ Papst Leo X. (Giovanni de' Medici) ihn im Pantheon beisetzen; die Marienstatue seines Freundes Lorenzetto und die Grabinschrift des Venezianer Humanisten Pietro Bembo an der dritten Ädikula linker Hand bezeichneten den Ort. Am Anfang des 7. Jahrhunderts war der heidnische „Allgöttertempel“ durch Papst Bonifacius IV, zu einer christlichen Marienkirche und mit seinen zahlreichen Reliquien zu einem Pantheon der Märtyrer geworden; durch Raffaels Grab wurde die Rotonda, seit 1543 auch Sitz der jungen Compagnia dei Virtuosi del Pantheon, zu einem Pantheon der Künstler und schließlich auch der Könige. Ihr christlicher Titel „S. Maria ad Martyres“, „bei den Märtyrern“, ist kaum mehr geläufig; dafür ist der antike Name „Pantheon“ auf andere, jüngere Ruhmestempel übergegangen.

Die Touristenscharen hinter ihren behelmbuschten Ciceroni drängen sich vor Raffaels Grab unter der „Madonna del Sasso“, die Raffael noch selbst bei seinem jüngeren Freund Lorenzo Lotti, genannt Lorenzetto, in Auftrag gegeben hatte. Raffaels Grab: das ist heute der schlichte Sarkophag mit der Aufschrift „Ossa et cineres Raph(aelis) Sanctii Urbin(atis)“, in dem die lange vermissten, vielmals gesuchten „Gebeine und Asche des Raffael Sanzio von Urbino“ nach ihrer Wiederauffindung im Herbst 1833 eine würdigere Ruhestätte gefunden haben. An seiner Oberkante wiederholt der Sarkophag in einer schmalen, langen Zeile das großartige Distichon, in dem Pietro Bembo seine Grabinschrift ausklingen ließ; weiter unten nennt er seinen Stifter: „Papst Gregor XVI. hat im Jahre (seines Pontifikats) 3, der Indiktion 6, die Totenlade antiker Arbeit gestiftet.“

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Die ursprüngliche Grabinschrift aus Raffaels Todesjahr steht wenig beachtet - Latina non leguntur - links oben an der Wand in dem stark geäderten Marmor der alten Inkrustation; sie stammt wohl im Ganzen von Pietro Bembo, der dem Papst schon vor seiner Wahl als secretarius gedient hatte, und sie lautet: „Raphaeli Sanctio Ioann(is) f(ilio) Urbinati / pictori eminentiss(imo) veterumq(ue) aemulo / cuius spiranteis (!) prope imagines si / contemplere naturae atque artis foedus / facile inspexeris / Iulii II et Leonis X pontt (pontificum) maxx (maximorum) picturae / et architect(urae) operibus gloriam auxit / v(ixit) a(nnos) XXXVII integer integros / quo die natus est eo esse desiit / VIII Id(us) April(is) MDXX“, Wort für Wort übersetzt: „Raffael Sanzio, dem Sohn des Giovanni, von Urbino, dem herausragendsten und mit den Alten wetteifernden Maler: Wenn du dessen nahezu atmende Bilder betrachtest, kannst du ein Bündnis der Natur und der Kunst leicht daraus ersehen. Der Päpste Julius' II. und Leos X. Ruhm hat er durch Werke der Malerei und der Architektur gemehrt. Gelebt hat er 37 Jahre, (selbst) ohne Fehl, (Jahre) ohne Fehl: An dem Tag er geboren ist, an dem hat er aufgehört zu sein: am 8. Tag vor den Iden des April 1520.“

Der doppelt gesteigerte Elativ „eminentissimo“, „herausragendst“, steigert sich noch einmal in dem folgenden „veterum aemulo“, „ mit den Alten wetteifernd“. So hatte sich der Maler Fra Angelico in seinem Grabepigramm von 1455 in S. Maria sopra Minerva hundert Schritte hinter der Rotonda einen „zweiten Apelles“ genannt, so hatten die Zeitgenossen den Bildhauer Andrea Bregno, wie dessen Grabinschrift von 1506 in der gleichen Kirche geradewegs gegenüber bezeugt, mit dem „Beinamen“ eines neuen „Polyklet“ geehrt. Wetteifernd worin? Die „spiranteis prope imagines“, die „nahezu atmenden Bilder“, geben den Schlüssel: Sie verweisen auf die vielzitierten prophetischen Vergilverse im Unterweltsbuch der „Aeneis“, die zunächst den Griechen den Vorrang in den Künsten und Wissenschaften zuerkennen, um darauf die Römer zu Weltherrschaft und Weltordnung aufzurufen. „Excudent alii spirantia mollius aera, / ... vivos ducent de marmore vultus ...“, heißt es da am Anfang: „Herausbilden werden andere geschmeidiger atmende Bronzen, ... werden lebendige Mienen abgewinnen dem Marmor ...“ Und ein Zitat gibt das andere: Neun Jahre später, 1529, rühmt die Grabinschrift für Felice de Fredis, den glücklichen Finder des Laokoon, in S. Maria in Aracoeli die Gruppe als ein „divinum ... fere respirans simulacrum“, ein „göttliches, ... fast atmendes Bildwerk“.

„Natur und Kunst“: Unter diesem Stichwort hat die Zeit wohl auch an Ovids Pygmaliongeschichte gedacht: wie das elfenbeinerne Mädchen – „ Ars ... latet arte sua“, „ Die Kunst verbirgt sich durch ihre Kunst“ - sich da unter den Händen des Künstlers mit Leben erfüllt und die Augen aufschlägt; oder an den Malerwettstreit des Zeuxis und des Parrhasios: wie der erste da mit seinen gemalten Trauben die vorbeifliegenden Vögel verlockt und der andere mit seinem gemalten Vorhang selbst den Malerkollegen auf den Leim führt ...

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Ein elegisches Distichon bildet den krönenden Beschluss, der Langverse wegen in kleinerem Schriftgrad. Es huldigt einem Künstler, in dem Natur und Kunst nicht nur derart „verbündet“, sondern unauflösbar verbunden schienen: „Ille hic est Raphael timuit quo sospite vinci / rerum magna parens et moriente mori“, im Versmaß: „Der hier: Raffael ist's, der die Schöpfernatur, da er lebte, / fürchten ließ seinen Sieg, und da er starb, ihren Tod.“ Auch hier verbirgt sich die Kunst in der Kunst; gelassen ausholende Versanfänge: „Ille hic est Raphael ...“, „rerum magna parens ...“ münden in strenggefügte parallele Versausgänge: „... quo sospite vinci“, „... et moriente mori“; der klassische Topos der ersten anderthalb Verse - die Kunst übertrifft die Natur, „siegt“ über die Natur - verkehrt sich in den letzten beiden gleichstämmigen Worten und vollends in dem allerletzten „mori“ überraschend in ein grandioses Paradoxon, den Tod der „großen Mutter“ zugleich mit dem Tod des Künstlers.

Raffaels Ehrenplatz hat manche Spätere nicht ruhen lassen. Ein halbes Jahrhundert später kam Taddeo Zuccari, der dritte Regent der Compagnia dei Virtuosi del Pantheon, zu der Ehre eines Grabes in der Nische der Künstlergesellschaft gleich links des Eingangs. Sein Bruder und Malerkollege Federico Zuccari hat ihn dort unbekümmert zu einem zweiten, ja größeren Raffael emporstilisiert, der „patria moribus pictura“, „in seiner Herkunft, seinem Wesen, seiner Malerei“ seinem großen Landsmann „vollkommen ähnlich“ und „wie jener an seinem Geburtstag“ (der wohlweislich ungenannt bleibt) „und nach seinem 37. Jahr aus dem Leben geschieden“ sei. Da durfte zu guter Letzt auch ein Distichon à la Bembo nicht fehlen. Glücklicherweise war der große Gedanke ja bereits gedacht; ihn vom „großen Raffael“ auf den „großen Taddeo“ zu übertragen, bedurfte es nur noch zweier verstärkender per-, eigentlich „durch und durch“: „Magna quod in magno timuit Raphaele peraeque / Tadaeo in magno pertimuit genetrix“, „Was die große Schöpferin beim großen Raffael fürchtete, ganz und gar gleicherweise fürchtete sie das, und durch und durch, beim großen Taddeo.“

Von allen Virtuosi del Pantheon, die in der Nische der Compagnia ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, ist Annibale Carracci, der Meister des mythologisch-erotischen Freskenzyklus in der Galerie des Palazzo Farnese, dem großen Raffael am nächsten gekommen. So jedenfalls mit seiner Grabinschrift gleich zur Rechten des Sarkophags, die Carlo Maratti 1674 dem älteren Zunftkollegen in Verehrung gewidmet hat. Wie in Raffaels Grabinschrift die Nähe zu den „Alten“, so ist vorher bei Zuccari und nun bei Carracci die Nähe zu Raffael der höchste Ruhmestitel. „Ut arte ingenio fama sic tumulo proximus ...“, so beginnt der späte Nachruf: „Wie in seiner Kunst, seiner Begabung, seinem Ruhm, so im Grab der nächste ...“, um darauf die Unbill der Fortuna zu beklagen, die Raffael im Nachhinein so gerecht, Carracci so ungerecht behandelt habe. Das abschließende Distichon, nun schon das dritte in der Reihe, variiert ein weiteres Mal das alte Thema von Natur und Kunst: „Arte mea vivit natura et vivit in arte / mens decus et nomen coetera mortis erant“, „Durch meine Kunst lebt die Natur, und es lebt in der Kunst Geist, Rang und Name; das Übrige war des Todes.“

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Künstlerlatein im Pantheon: das jüngste und längste Stück in diesem prosaisch-poetischen Inschriftenkranz um das Grab des großen Meisters führt uns zurück zu Raffael. In der - zumeist abgesperrten - Nische rechts des Grabes bekunden, ja beurkunden der Bildhauer Giuseppe de Fabris (1790-1860) und sein „Josephianisches Kollegium“ der Virtuosi del Pantheon überglücklich die Wiederauffindung der verschollen geglaubten Gebeine im September 1833 und ihre feierliche Wiederbestattung im Oktober des gleichen Jahres. Eine alles andere als „lapidare“ Inschrift, bei der auch ein gestandener Lateiner leicht ans Ende seines Lateins kommen kann; es ist ein einziger Satz, der sich da in überschwenglicher Verehrung über mehr als zwanzig lange Zeilen und fast ebensoviele Partizipien bis zu dem erlösenden „PP (posuerunt)“, am Ende erstreckt, all das notabene ohne Punkt und Komma. Umso schlichter mutet darauf das abschließende, in dieser dreihundertjährigen Inschriftentradition vollends obligatorische Distichon am Fuß der Tafel an: „Postquam oculis nostris carissima vidimus ossa / carius haud usquam quod videamus erit“, „Nachdem wir mit eigenen Augen die liebsten Gebeine gesehen haben, wird es Lieberes nirgends mehr, das wir sehen könnten, geben.“

Auch der vermeintliche Schädel Raffaels, den man in der 1553 gegründeten Accademia di S. Luca seit langer Zeit verwahrte und verehrte, wird dem Josephianischen Kollegium dieser Virtuosi del Pantheon nun nicht mehr so lieb und wert gewesen sein wie zuvor. Goethe hatte ihn auf seiner Italienischen Reise während seines zweiten Aufenthalts in Rom gesehen und bewundert; unter dem 7. März 1788 schreibt er dazu: „Ich sah die Sammlung der Akademie St. Luca, wo Raffaels Schädel ist. Diese Reliquie scheint mir ungezweifelt. Ein trefflicher Knochenbau, in welchem eine schöne Seele bequem spazieren konnte ...“ In dem anschließend eingefügten - Jahrzehnte jüngeren – „Bericht/April“ vergegenwärtigt sich Goethe noch einmal die „Wallfahrt“ zu der Akademie S. Luca und dem dort verwahrten „Heiligtum“; ein nach Weimar übersandter Abguss, „dessen Anblick mich noch oft zu den mannigfaltigsten Betrachtungen aufruft“, hatte die Erinnerung lebendig erhalten. Wenige Jahre nach der Niederschrift dieses „Berichts“, im März 1832, ist Goethe gestorben; die Auffindung der echten Reliquie im September des folgenden Jahres hat ihm seinen schönen Irrtum nicht mehr nehmen können.

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Weihnachtsjubel eines Obelisken

In den fünf Jahren seines Pontifikats hat Papst Sixtus V. (Felice Peretti, 1585-1590) im Jahresrhythmus vier Obelisken aufgestellt: 1586 den Vatikanischen vom Circus des Caligula auf dem Petersplatz, 1587 den auf der Piazza dell' Esquilino hinter S. Maria Maggiore, 1588 den Konstantinischen vom Circus Maximus beim Lateran und 1589 den Augusteischen von der gleichen Wagenrennbahn auf der Piazza del Popolo. Der zweite in der Reihe, der Esquilinische, ist der weitaus kleinste dieser vier „Sixtinischen“ Obelisken, kaum halb so groß wie der beim Lateran; bei seiner Aufstellung hinter S. Maria Maggiore ging es nicht so sehr um die Größe als vielmehr um einen bedeutsamen Bezug.

Recht betrachtet, steht dieser Obelisk gar nicht hinter der Basilika, sondern vor der Cappella Sistina an ihrem rechten Seitenschiff. Noch als Kardinal Felice Peretti hatte Sixtus V. diese Kapelle für die seit alters in S. Maria Maggiore verehrten Krippenreliquien gestiftet; 1587 hat er den hochaufragenden, kuppelbekrönten Bau der „allerheiligsten Krippe unseres Herrn Jesus Christus“ - so die Inschrift auf der Chorfassade - geweiht und ihr den einen der beiden Obelisken vom Mausoleum des Augustus zur Seite gestellt; der andere kam zwei Jahrhunderte später, 1786, durch Pius Vl. auf die Piazza del Quirinale.

Die vier Inschriften auf der Basis des Esquilinischen Obelisken schlagen jede auf ihre Art den Bogen von dem alten zu dem neuen Standort, vom Grabmal zur Krippe, von dem alten zu dem neuen Weltenherrscher. Die Inschrift auf der Südwestseite, die längste der vier, umreisst die typischen Stationen eines solchen Obeliskenlebens. Da hören wir zunächst von der Überführung des Obelisken aus Ägypten und seiner Weihung „an Augustus in dessen Mausoleum“, darauf von seinem jämmerlichen Sturz und dem Herumliegen der Bruchstücke auf der Strasse bei S. Rocco, schließlich von seiner Wiederherstellung und seiner neuen Weihung an das „heilbringende Kreuz“, das seither an seiner Spitze aufragt. „Felicius“, heißt es da am Ende, „glücklicher“ habe Sixtus V. ihn hier wieder aufrichten lassen, das will sagen: Unter diesem Zeichen wird er so leicht nicht wieder stürzen.

Der Geburt Christi und der Weihnachtslegende gelten die Inschriften auf den folgenden Seiten, und hier spricht dieser Obelisk als erster auch im eigenen Namen. Die Inschrift auf der Nordwestseite spielt auf die alte Legende an, die Kaiser Augustus, den Herrn der Welt, noch vor den heiligen drei Königen dem Jesusknaben huldigen lässt: „Christum Dominum, / quem Augustus / de virgine / nasciturum / vivens adoravit, / - seq(ue) deinceps / dominum / dici vetuit - / adoro“, „ Christus den Herrn, welchen Augustus, als der Knabe von der Jungfrau geboren werden sollte, zu seinen Lebzeiten angebetet hat - und ihn selbst danach noch <Herr> zu nennen, verbot er -, bete ich an.“

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Wir lesen die Legende, die Ursprungslegende von S. Maria in Aracoeli auf dem Kapitol, in der Sammlung des Jacobus de Voragine aus dem 13. Jahrhundert. Auf das Drängen der Senatoren, die ihn als Gott verehren wollten, habe Augustus die Sibylle befragt, „ob jemals ein Größerer als er geboren werde“, und darauf habe sich „am Tage der Geburt des Herrn“ diese Vision gezeigt: „Mitten am Tag erschien ein goldener Kreis um die Sonne und inmitten des Kreises eine wunderschöne Jungfrau, die einen Knaben im Schoß trug. Darauf zeigte die Sibylle das dem Kaiser, und während der Kaiser über diese Vision höchlichst staunte, hörte er eine Stimme, die zu ihm sagte: ‚Dies ist der Altar des Himmels', und die Sibylle sagte zu ihm: ‚Dieser Knabe ist größer als du, und darum bete ihn an!' ... Da erkannte der Kaiser, dass dieser Knabe größer war als er, brachte ihm Weihrauch dar und wies das Ansinnen zurück, sich des weiteren Gott nennen zu lassen.“

Mit dem letzten Wort der Inschrift, diesem überraschenden „... adoro“, „... bete ich an“, stellt der Obelisk sich in die Nachfolge des Kaisers und schlägt zugleich einen Bogen von dem großen Herrn, vor dessen Mausoleum er so lange gestanden und noch länger gelegen hatte, zu dem noch „Größeren“, vor dessen Krippe er jetzt steht.

Auf der Nordostseite spricht der Obelisk weiter im eigenen Namen und nun vollends in eigener Sache: „ Christi Dei / in aeternum viventis / cunabula / laetissime colo, / qui mortui / sepulcro Augusti / tristis / serviebam.“ Vier Zeilen gelten dem Jetzt, vier Zeilen dem Einst; vierzehn Worte lapidares Latein, wie es „im Buche“ und noch eher auf den Steinen steht: „Le latin“, hat Voltaire einmal gesagt, „est plus propre au style lapidaire que les langues modernes“. In raffinierter Verschränkung spielt der Obelisk die Gegensätze gegeneinander aus, die sich aus dem Wechsel von dem alten zu dem neuen Dienst ergeben; da steht Christus gegen Augustus, das ewige Leben gegen den Tod, die Wiege gegen das Grabmal, Verehrung gegen Sklavendienst, höchste Freude gegen Freudlosigkeit - und ein beflügelndes Präsens gegen ein lastendes Imperfectum durativum: „Christi, des auf ewig lebenden Gottes, Wiege verehre ich freudigst, der ich dem Grabmal des toten Augustus freudlos so lange gedient habe.“

Zwei Jahre später, 1589, wird der Obelisk vor S. Maria del Popolo, den Augustus einst dem Sonnengott geweiht hatte, den Jubelruf aufnehmen, nicht ohne Seitenhiebe auf seine alten Herren: „Vor dem heiligen Gotteshaus derer rage ich erhabener (augustior) und freudiger auf, aus deren jungfräulichem Leib, während Augustus herrschte, die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist“, und wieder ein Vierteljahrhundert später, 1614, wird die Mariensäule vor der Front von S. Maria Maggiore als dritte in den Jubelchor einstimmen: „Die unreinen Tempel einer falschen Gottheit habe ich einst auf Geheiß des Kaisers traurig getragen; jetzt, da ich freudig des wahren Gottes Mutter fortan trage ...“

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/3 (2004), 7

Die vierte, südöstliche Seite der Basis weist noch einmal auf das „heilbringende, unbesiegte Kreuz“ zurück, dem die vier „Sixtinischen“ Obelisken durchweg geweiht sind. An das freudige Bekenntnis zu dem neuen Gott schließt sich eine beziehungsreiche Fürbitte an: „ Christus / per invictam / crucem / populo pacem / praebeat / qui / Augusti pace / in praesepe nasci / voluit“, „Christus möge durch das unbesiegte Kreuz dem Volk seinen Frieden gewähren - er, der im Frieden des Augustus in die Krippe hinein geboren werden wollte.“ Auch hier schlägt die Inschrift nochmals einen Bogen von dem alten zu dem neuen Friedensfürsten, von der Pax Augusta, der Friedensverheißung der römischen Legionen, die der Welt unter der Herrschaft der ewigen Stadt ein erstes Ende der Geschichte verhieß, zu der ganz anderen Pax Angelica, der Friedensbotschaft der himmlischen Heerscharen. Von dem „toten Augustus“ hatte dieser Obelisk sich „freudigst“ dem „auf ewig lebenden Christus“ zugewendet, und doch: In der Anbetung seines neuen Herrn kann er sich geradeso freudig zur Nachfolge des alten Kaisers bekennen und in dieser Bitte um den himmlischen Frieden Christi doch auch stolz auf den irdischen Frieden des alten Augustus verweisen.


Prof. Dr. Klaus Bartels
Zürich